Die neue deutsch-türkische Eiszeit

Treffen in gespannter Atmosphäre. Außenminister Gabriel (l.) empfing den türkischen Außenminister Çavuşoğlu  (zweiter von r.)
Treffen in gespannter Atmosphäre. Außenminister Gabriel (l.) empfing den türkischen Außenminister Çavuşoğlu (zweiter von r.)(c) APA/AFP/dpa/KAY NIETFELD (KAY NIETFELD)
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Das Verhältnis der beiden Länder ist auch nach dem Treffen der Außenminister so schlecht wie lange nicht. Berlin fürchtet nun eine Spaltung der türkischen Gemeinschaft im Land.

Berlin. Ein Frühstück des deutschen und türkischen Außenministers im Luxus-Hotel Adlon reicht nicht, um die Beziehungen zu kitten. Dafür ist zu viel vorgefallen in letzter Zeit: die Verhaftung des deutsch-türkischen „Welt“-Journalisten Deniz Yücel etwa, die Spitzelaffäre um türkische Imame in Deutschland oder die Debatte um (untersagte) türkische Wahlkampfauftritte auf deutschem Boden, die in Nazi-Vorwürfen aus Ankara gegen die Bundesrepublik gipfelten.

Am Mittwoch, nach dem Krisenfrühstück mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Çavuşoğlu tritt Sigmar Gabriel also vor die Presse. Allein. Mit sichtbar ernster Miene. Der deutsche Außenminister wird nach dem Statement nach Warschau reisen, die Polen zur Rechtsstaatlichkeit ermahnen, dann geht es weiter nach Moskau. Alles keine einfachen Besuche. Aber den schwersten Programmteil, das Frühstück mit Çavuşoğlu, hat er bereits hinter sich. „Gut, ehrlich und freundlich aber auch hart und kontrovers in der Sache“ sei das Treffen gewesen, sagt Gabriel. Er habe dabei die Nazi-Vergleiche, an denen sich auch sein Amtskollege beteiligt hatte, zurückgewiesen: „Es gibt Grenzen, die man nicht überschreiten darf.“

Berlin spielt auf Zeit

Ansonsten hält Gabriel den Ball flach. Er preist die guten Beziehungen zur Türkei, wie es sie einmal gab. Vor den „Spannungen“. Und er verkneift sich jede Spitze. Im Ton ist das alles leiser, wie das, was etwa aus Wien zu hören ist. Die deutsche Regierung spielt dabei auf Zeit: Es gibt die Hoffnung, dass der Theaterdonner aus Ankara nach dem 16. April verstummt, dass also nach dem Wahlkampf um die neue Verfassung das Feindbild Deutschland wieder abgeräumt wird. Und bis dahin gilt die Devise, sich nicht provozieren zu lassen. „Wir waren uns einig, dass keine der beiden Seiten ein Interesse daran hat, die Beziehungen nachhaltig zu beschädigen“, sagt Gabriel. Man wolle sich bald wieder treffen. Bei Çavuşoğlu klingt das später ähnlich. Zunächst. Er lädt seinen „Freund“ in die Türkei ein. Zugleich verbittet er sich aber Einmischungen in das Referendum und vergleicht Berichten zufolge die Stimmung in Europa mit der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg.

Das ist schon näher an seinem Auftritt am Vorabend, auf einem Balkon des Konsulats in Hamburg, wo der Außenminister den Zuhörern mit ihren türkischen Fahnen erklärte, Deutschland verfolge „eine systematische Gegnerschaft zur Türkei“. Behörden hatten ihm zuvor andernorts einen Wahlkampfauftritt untersagt. Wie schon dem türkischen Justiz- und dem Wirtschaftsminister. Nun aber könnte der Präsident Recep Tayyip Erdoğan selbst kommen: Beim Krisenfrühstück im Adlon soll Çavuşoğlu die Chancen für mögliche Veranstaltungsorte ausgelotet haben. Gabriel erwähnt das nicht. Er deutet aber an, dass solche Auftritte möglich seien, wenn man sich an die „Spielregeln“ hält. Am Ende seiner Erklärung nimmt der Außenminister die Brille ab und sagt, dass er jetzt noch eine Botschaft an die Bürger mit türkischen Wurzeln richten möchte. Es ist der Versuch einer Umarmung. Türkische Mitbürger hätten einen „unglaublichen Anteil am Aufbau des Wohlstands in unserem Land“. „Sie sind Teil unseres Landes, und so wollen wir uns auch verstehen.“ Gabriel sagt aber auch einen Satz, in dem sich die größte Sorge der Regierung spiegelt: „Wir dürfen es nicht zulassen, dass politische Auseinandersetzungen aus der Türkei nach Deutschland importiert werden.“

Die Bedrohung ist real. Hans-Georg Maaßen, Chef des Bundesverfassungsschutzes, warnte gestern vor Zusammenstößen zwischen Deutschtürken: „Es besteht die Gefahr, dass die Stellvertreterauseinandersetzungen zwischen PKK-Anhängern und nationalistischen/extremistischen Türken eskalieren.“ Zugleich würden die Geheimdienst-Tätigkeiten der Türkei zunehmen.

Wichtigster Handelspartner

Für Angela Merkel steht angesichts der deutsch-türkischen Verwerfungen viel auf dem Spiel, vielleicht auch der Flüchtlingsdeal, den sie vor einem Jahr mit Ankara eingefädelt hat. Bisher hielt sie sich mit öffentlicher Kritik eher zurück. Einer „BamS“-Umfrage zufolge finden 81 Prozent der Deutschen, die Bundesregierung lasse sich von der Türkei zu viel gefallen.

Denn so einseitig sind die Abhängigkeiten nicht. Auch Deutschland hat Hebel. Finanzminister Wolfgang Schäuble erinnerte zuletzt daran, dass Deutschland für die Türkei der wichtigste Handelspartner sei und dass Ankara in wirtschaftlichen Schwierigkeiten stecke. Bis 2015 waren auch die meisten Türkeiurlauber aus Deutschland. Dann kamen Terror und Putschversuch. Am Mittwoch ist Çavuşoğlu auf der ITB, der Reisemesse in Berlin. Und wirbt dort auch um deutsche Touristen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2017)

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