Frankreich: Terror-Knalleffekt im Wahlkampf

Marine Le Pens Anhänger jubeln der Parteichefin zu. Die TV-Debatte heute wird zur ersten Nagelprobe.
Marine Le Pens Anhänger jubeln der Parteichefin zu. Die TV-Debatte heute wird zur ersten Nagelprobe. (c) imago/PanoramiC
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Die Attacke am Flughafen Orly brachte ein Thema zurück, das nur am Rand eine Rolle spielte. Bei der TV-Debatte geht es heute um die Entzauberung des Überfliegers Macron.

Wien/Paris. Nicht, dass es dem Wahlkampf an Brisanz und Zündstoff gefehlt hätte. Bisher ging es indessen vor allem um die Finanzaffären der Spitzenkandidaten, um die Scheinbeschäftigung seiner Frau Penelope und die teuren Anzüge des François Fillon und um die Frage, wer sich neben Marine Le Pen für die Stichwahl der Präsidentenwahl qualifizieren würde – und ob die Chefin des Front National in der ersten Runde tatsächlich die Nase vorne haben würde, wie die Demoskopen mehrheitlich voraussagen. Ihr Gegenkandidat, so lautet der Befund der täglichen Meinungsumfragen, würde Le Pen in der zweiten Runde allerdings souverän besiegen. Dies ist die Prämisse zum Start des Intensivwahlkampfs fünf Wochen vor dem ersten Wahlgang in Frankreich, bei dem sich heute Abend bei der ersten Fernsehdebatte die Spreu vom Weizen trennen wird. Der Angriff eines mutmaßlichen Terroristen, des 39-jährigen Ziyed Ben Belgacem, am Flughafen in Paris-Orly am Samstag brachte jedoch ein Thema zurück, das das Land in den vergangenen Jahren in den Bann geschlagen hat, in der Debatte aber weitgehend ausgespart blieb. Seit der Attentatsserie in Paris im November 2015, dem mehr als 130 Menschen zum Oper fielen, ist ein Ausnahmezustand in Kraft, den die Regierung ein ums andere Mal verlängert hat – zunächst bis zur Fußball-EM im Sommer 2016 und erst recht nach dem blutigen Anschlag auf der Promenade des Anglais in Nizza am Nationalfeiertag.

Déjà-vu-Effekt in Orly

Die Attacke auf eine Polizeipatrouille auf dem zweitgrößten Flughafen Frankreichs war neuerlicher Beleg für die Terrorgefahr und die Nervosität der Behörden, die die Abflüge in Orly strichen und den Flugverkehr umleiteten. Zwei Minuten währte der Schrecken, der mit dem Tod des Angreifers endete. Für viele Franzosen wurden Erinnerungen wach an vorangegangene Attentate und die Panik, die sie hervorriefen – ein Déjà-vu-Effekt.

Belgacem, wegen Drogen- und Gewaltdelikten vorbestraft, ansonsten jedoch nicht als Radikaler auf dem Terror-Radar der Polizei, war zuvor bei einer Routinekontrolle im Norden von Paris als Raser aufgefallen. Staatsanwalt François Moulin geht von einem terroristischen Motiv aus. Womöglich, so heißt es, sei er während eines Gefängnisaufenthalts in Kontakt mit Islamisten gekommen. „Mein Sohn war niemals ein Terrorist“, erklärte derweil sein Vater. „Ich habe eine Dummheit mit einem Gendarmen begangen“, habe er ihm bei einem Anruf berichtet, nachdem er bei der Kontrolle auf einen Polizisten geschossen hatte. Vor der TV-Diskussion positionierten sich vor allem Le Pen und Fillon als Scharfmacher und als Verfechter rigoroser Sicherheitsmaßnahmen. Die Rechtspopulistin nahm dabei die Regierung von Präsident François Hollande gezielt ins Visier.

Am Samstag war offiziell Meldeschluss für die Kandidaten – und somit verstrich auch die letzte Möglichkeit für einen freiwilligen Rückzug des Republikaners Fillon. Im Zuge von „Penelopegate“, der Affäre um die angebliche Beschäftigung seiner Frau und zweier Kinder als persönliche Parlamentsassistenten, war er mehrmals unter Druck geraten, zog jedoch stets den Kopf aus der Schlinge. Beharrlich wehrte er sich gegen einen Rücktritt, selbst dann noch, als die Justiz Ermittlungen gegen ihn einleitete.

Alle gegen Macron

Im November hatte er im konservativen Lager die Favoriten Alain Juppé und Nicolas Sarkozy überraschend aus dem Feld geschlagen und galt danach als erster Anwärter auf den Élysée-Palast, ehe die Satirezeitschrift Canard Enchainé eine Enthüllungsserie über den vermeintlichen konservativen Saubermann lancierte. Inzwischen rangiert Ex-Premier Fillon abgeschlagen auf dem dritten Platz, hinter Le Pen und dem 39-jährigen Shooting-Star Emmanuel Macron, dem früheren Wirtschaftsminister Hollandes. Die TV-Debatte ist wahrscheinlich bereits die letzte Chance für ein Comeback Fillons. Er verfügt zwar über eine loyale Klientel, ein Großteil der Republikaner verweigert ihm mittlerweile aber die Gefolgschaft. Wie Le Pen und Macron versuchte auch Fillon politisches Kapital aus der Wahl in den Niederlanden zu schlagen. Sah sich die Chefin des Front National von den moderaten Gewinnen ihres rechtspopulistischen Freundes Geert Wilders bestätigt, so lasen ihre Hauptkontrahenten aus dem Resultat eine Trendwende im Siegeszug des Populismus. Alle gegen Macron: So lautet heute Abend das Motto. Viele Parteifreunde haben Fillon wie auch den Sozialisten Benoît Hamon als chancenlos abgeschrieben, prominente Mitte-Politiker wie François Bayrou schworen dem Überflieger Macron ihre Unterstützung. Fillon wie Hamon haben heute die Entzauberung Macrons im Sinn, der Wähler von rechts wie links anzieht.

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