Stechschritt und Hasstiraden in Pjöngjang

Aufmarsch in Nordkorea. Parade vor den gewaltigen Statuen von Staatsgründer Kim Il-sung und seines Nachfolgers Kim Jong-il.
Aufmarsch in Nordkorea. Parade vor den gewaltigen Statuen von Staatsgründer Kim Il-sung und seines Nachfolgers Kim Jong-il.REUTERS
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Das KP-Regime in Nordkorea feierte den 105. Geburtstag von Staatsgründer Kim Il-sung mit einer gewaltigen Parade. Es will Stärke demonstrieren und gerät zugleich zunehmend unter Druck seiner bisherigen Schutzmacht China und der USA.

Panzer fahren auf. Angeführt von einer Militärkapelle marschieren Zehntausende Soldaten perfekt choreografiert im Stechschritt an der Ehrentribüne auf dem Kim-Il-sung-Platz vorbei. Dahinter fahren schwere Militärgeräte auf, die die gefürchteten Mittelstreckenraketen der Typen Rodong und Musudan tragen. Sie könnten binnen weniger Minuten nach ihrem Start Seoul und Tokio in Schutt und Asche legen. Und auch mit Tiraden hält sich Nordkoreas Führung bei der Militärparade anlässlich des 105. Geburtstags des Staatsgründers Kim Il-sung am Samstag nicht zurück. Nordkorea werde auf einen „totalen Krieg mit totalem Krieg und auf einen Atomangriff mit einem Atomangriff“ antworten, verkündete Choe Ryong Hae. Er scheint derzeit die Nummer zwei in dem für Außenstehende undurchsichtigen Regime zu sein.

Der eigentliche Machthaber Kim Jong-un hält keine Rede. Nordkoreas Staatsfernsehen zeigte ihn am Samstag lediglich, wie er in einem schwarzen Anzug und einem weißen Hemd aus einer Limousine steigt, seiner Ehrengarde salutiert, bevor er die Ehrentribüne hinauf steigt und hinter einem festlich gedeckten Podium Platz nimmt. Erhaben blickt er über die ihm zujubelnde Menschenmenge, als wolle er damit zum Ausdruck bringen: An diesem Ehrentag seines Großvaters stehe er über den Dingen. Die Alltagspolitik überlässt der Machthaber seinem Stellvertreter.

KP-Staat begeht „Tag der Sonne“. In einer Phase internationaler Spannungen hat Nordkoreaden 105. Geburtstag Kim Il-sungs gefeiert, unter Nordkoreanern auch bekannt als „Tag der Sonne“ – nach offizieller Lesart der wichtigste Feiertag des letzten noch existierenden stalinistischen Staates. Das kommunistische Regime in Pjöngjang nutzte die Gelegenheit, mit einer martialischen Parade der ganzen Welt seine militärische Stärke zu demonstrieren.

Stechschritt und Hasstiraden – das hat es in Nordkorea in den vergangenen Jahren schon häufig gegeben. Hinzu kamen dieses Mal jedoch die Drohgebärden der USA. Demonstrativ hat US-Präsident Donald Trump einen Flugzeugträgerverband in Richtung der Küste Nordkoreas geschickt. Auch japanische Kriegsschiffe schlossen sich der US-Flotte an.

Denn viele Beobachter befürchteten im Vorfeld der Feierlichkeiten, das Regime in Pjöngjang könnte die USA und Nordkoreas Nachbarstaaten mit einem neuen Atomtest provozieren. Es wäre der sechste derartige Test gewesen. US-Militärexperten und das südkoreanische Verteidigungsministerium hatten zuvor „verdächtige Aktivitäten“ auf dem nordkoreanischen Testgelände Pungye Ri im Nordosten des Landes registriert. Doch zu einer nuklearen Detonation kam es zumindest bis zum späten Samstagabend, Ortszeit, nicht.

Arbeit an Langstreckenraketen. Seit Jahren arbeitet das nordkoreanische Regime an einem Atom- und Raketenprogramm, das ihm die Vereinten Nationen eigentlich untersagt haben. Allein im vergangenen Jahr ließ Pjöngjang zwei Atomwaffentests vornehmen und mehr als zwei Dutzend Raketen ins Meer schießen. Denn gleichzeitig arbeiten die nordkoreanischen Techniker an der Entwicklung einer Langstreckenrakete, die mit atomaren Sprengköpfen bestückt die USA treffen sollen.

Momentan hapert es noch an der sogenannten Miniatisierung, das heißt: Die Atomsprengköpfe müssen so klein werden, dass sie auch von den Trägerraketen ins Ziel transportiert werden können. Einige Experten gehen davon aus, dass Pjöngjang schon in weniger als zwei Jahren imstande sein wird, einen solchen Atomsprengkopf zu entwickeln.

US-Präsident Trump hatte in den vergangen Tagen den Druck massiv erhöht und damit gedroht, Nordkoreas Atomprogramm notfalls im Alleingang zu stoppen. Er hatte sich vor acht Tagen mit Chinas Staatspräsident Xi Jinping in Trumps Privatdomizil in Florida getroffen und um Pekings Unterstützung für seinen Kurs geworben.

China, die bisherige Schutzmacht Nordkoreas, hat sich offiziell bisher nicht auf die Seite der USA geschlagen, sondern mahnt lediglich alle Beteiligte zur Besonnenheit. „Wenn es einen Krieg gibt, ist das Ergebnis eine Situation, in der jeder verliert und es keinen Gewinner geben kann“, warnte der chinesische Außenminister Wang Yi.

Ende des Kohleimports. Doch sehr viel mehr als zuvor erhöht auch Peking nun den Druck auf Nordkorea. Die chinesische Führung hat eigenen Angaben nach bereits seit Februar keine Kohle mehr aus dem Nachbarland importiert. Kohle war zuletzt der größte Devisenbringer der Nordkoreaner. Am Samstag kappte Air China vorläufig auch sämtliche ihrer Flugverbindungen nach Pjöngjang.

Auch China will Nordkoreas Aufstieg zur Atommacht vermeiden, fürchtet aber ebenso einen Zusammenbruch des Regimes in Pjöngjang. Denn der würde Millionen Flüchtlinge ins Land schwemmen. Zudem will Peking um keinen Preis, dass US-Soldaten unmittelbar vor der chinesischen Grenze stationiert sind. Das Misstrauen Pekings gegenüber Washington war auch schon unter Obamas Präsidentschaft groß und hat sich unter Trumps Präsidentschaft noch einmal verstärkt.

In regierungsnahen Kreisen in Peking gibt es ohnehin schon seit einiger Zeit einflussreiche Stimmen, die Nordkoreas Bedrohungspotenzial für überzogen halten. Sie glauben, Pjöngjang gehe es gar nicht darum, die USA zu bedrohen – trotz aller Hasstiraden. Einen Atomkrieg würde Nordkorea nicht überleben. Selbst einen nordkoreanischen Angriff auf den Süden der Halbinsel oder Japan halten sie für wenig wahrscheinlich.

Veraltete Luftstreitkräfte. Schon Kim Jong-uns Vater und Vorgänger Kim Jong-il wusste: Ein Gefecht mit konventionellen Waffen würde Nordkoreas Armee nicht lange überleben. Zwar ist sie mit geschätzt mehr als einer Million Soldaten eine der größten der Welt, doch insbesondere die Luftstreitkräfte gelten technisch als veraltet. Auch ohne Unterstützung der USA ist die südkoreanische Armee weit überlegen.

Die Entwicklung einer eigenen Atombombe dient nach Ansicht chinesischer Regierungskreise dem Selbstschutz. Kim habe die einstigen Diktatoren Saddam Hussein im Irak und Muammar al-Gaddafi in Libyen vor Augen, argumentieren sie. Er habe Angst, ohne Atomwaffen jederzeit von den USA gestürzt werden zu können.

Bereits unter dem alten Kim machte das nordkoreanische Atom- und Raketenprogramm daher große Fortschritte. Der junge Kim hat die Entwicklung in den vergangenen fünf Jahren unter seiner Herrschaft noch einmal deutlich beschleunigt. Fünf Atomtests hat es seit 2006 gegeben, zwei davon fallen in seine Amtszeit.

Erzwingen von Lebensmittelhilfen. Ähnlich sieht das der japanische Nordkorea-Experte Narushige Michishita vom National Graduate Institute for Policy Studies in Tokio. Das wohl eigentliche Ziel des nordkoreanischen Diktators sei sehr viel weniger ambitioniert, vermutet Michishita. Viele Menschen des abgeschotteten Landes litten unter der Armut, die jahrzehntelange Misswirtschaft und die internationalen Sanktionen mit sich gebracht hätten. Kim setze darauf, über das nukleare Bedrohungspotenzial seines Landes Lebensmittel und andere Hilfen zu erzwingen, glaubt Michishita. Reizen, Aufmerksamkeit erregen, aber nicht so viel, um heftige Gegenreaktionen auszulösen – das entspreche Kims Logik.

Und dennoch: Mit besonders großer Spannung dürften am Samstag sowohl die chinesischen als auch die US-Militärexperten auf die bei der Parade in Pjöngjang vorgeführte Raketentechnik geblickt haben. Nordkoreas Staatsfernsehen zeigte erstmals Bilder von U-Boot-Raketen des Typs Pukkuksong. Sie könnten eine Reichweite von rund 1.000 Kilometern haben. Chinesische Militärexperten meinen zudem, auf der Parade den Prototyp einer Interkontinentalrakete gesehen zu haben. Sie gehen nach einer ersten Analysen allerdings davon aus, dass diese Rakete noch nicht einsatzbereit ist.

SPANNUNGEN MIT DEN USA

Internationale Experten äußerten die Befürchtung, das nordkoreanische KP-Regime könnte rund um die Geburtstagsfeiern für den 1994 verstorbenen Staatsgründer Kim Il-sung einen weiteren Atomtest durchführen. Am Samstag hielt das Regime in Pjöngjang eine gewaltige Militärparade ab.

US-Präsident Donald Trump hat Nordkorea mehrmals deutlich vor einem Nuklearversuch gewarnt. Er will eine härtere Gangart gegenüber der Führung in Pjöngjang einschlagen als sein VorgängerBarack Obama. Trump entsandte eine Flugzeugträgerkampfgruppe in die Region.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2017)

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