Türkische Regierung feuert knapp 4000 Beamte und Armee-Angehörige

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Der Zugang zum Online-Lexikon Wikipedia wurde gesperrt, Kuppelshows in Radio und TV verboten. Österreichs Kanzler betont: "Wir müssen die Beziehungen zur Türkei neu ordnen".

Gestärkt durch das gewonnene Referendum über zusätzliche Vollmachten für Präsident Recep Tayyip Erdogan setzt die Türkei den Umbau des Staates fort: Am Wochenende entließ die islamisch-konservative Regierung in Ankara 3974 Beamte, darunter mehr als tausend Mitarbeiter des Justizministeriums und mehr als tausend Armee-Angehörige. Zudem sperrte sie den Zugang zum Online-Lexikon Wikipedia und verbot Kuppelshows in Radio und Fernsehen. Letzteres hatte Vizeregierungschef Numan Kurtulmus bereits im März folgendermaßen angekündigt: "Es gibt einige merkwürdige Sendungen, die die Institution der Familie beschädigen und ihr die Würde und Heiligkeit nehmen."

Erst am Mittwoch hatte die Polizei bei landesweiten Razzien mehr als tausend Verdächtige festgenommen, tausende weitere wurden per Haftbefehl gesucht. Am selben Tag suspendierte die Polizei in den eigenen Reihen mehr als 9100 Beamte, weil sie Verbindungen zum Gülen-Netzwerk (siehe Infobox unten) haben sollen. Am Samstag wurde landesweit - ohne Angabe von Gründen - der Zugang zum Online-Lexikon Wikipedia blockiert. In Medienberichten wird vermutet, dass die türkischen Behörden Wikipedia vergeblich aufgefordert hätten, Inhalte zur "Terrorunterstützung" sowie Angaben, wonach die Türkei mit Terrorgruppen kooperiere, zu löschen. Spekulationen gab es auch, ob die Sperrung auf für Erdogan unvorteilhafte Aktualisierungen seines Wikipedia-Profils nach dem umstrittenen Verfassungsreferendum zurückgeht. Regierungstreuen Bloggern zufolge wurde Erdogan dort unter anderem als "Diktator" beschrieben.

"Zugang zu Informationen ist ein grundlegendes Menschenrecht", schrieb Wikipedia-Gründer Jimmy Wales in einer Reaktion auf die Sperre auf dem Kurzbotschaftendienst Twitter. Im Kampf für dieses Recht stehe er an der Seite des türkischen Volkes.

Kern: "Beziehungen zur Türkei neu ordnen"

Unterdessen nannte Österreichs Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) die Entwicklung in dem Land am Bosporus "äußerst besorgniserregend". "Wir müssen unsere Beziehungen zur Türkei neu ordnen", sagte er in Brüssel. Europa könne es sich "nicht leisten, ein instabiles Land mit 80 Millionen Einwohnern in der unmittelbaren Nachbarschaft zu haben". Die Vorbeitrittshilfen von rund 4,5 Milliarden Euro der EU an die Türkei sollten vorerst einmal nicht ausgezahlt werden, so Kern.

Die Spitze der EU will am Rande des Nato-Gipfels Ende Mai das Gespräch mit Erdogan über die Zukunft der Beziehungen suchen. Dies habe Ratspräsident Donald Tusk in Aussicht gestellt, sagte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel in Brüssel.

Auf einen Blick

Die Regierung geht seit Monaten gegen mutmaßliche Anhänger der Gülen-Bewegung vor. Ankara macht die Bewegung des in den USA lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen für den gescheiterten Militärputsch vom vergangenen Juli verantwortlich. Seit dem Putschversuch wurden daher in der Türkei zehntausende mutmaßliche Gülen-Anhänger inhaftiert oder aus dem Staatsdienst entlassen.

(APA/AFP/Red.)

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