François Hollande agierte so glücklos, dass er auf eine Wiederkandidatur verzichten musste. Durch den Wahlsieg Macrons sieht er sich jedoch ein wenig rehabilitiert.
In Tulle fühlt sich François Hollande zu Hause, hier glaubt sich der glücklose Präsident verstanden wie vielleicht nirgendwo sonst in Frankreich. Jahrelang hat er in dem Provinzstädtchen im Süden des Zentralmassivs als Bürgermeister amtiert, und als der Staatschef am Sonntagvormittag seine Stimme abgab, schlug ihm vielfach die Sympathie der Bürger entgegen. Wo er anderswo Pfiffe und Buhrufe befürchten musste, gab es Küsschen und eine rote Rose.
Aus einem Fenster hing ein Transparent, auf dem sich eine Wählerin für dessen fünfjährige Präsidentschaft bedankte – eine Ausnahme in einem Land, in dem die Zustimmungsrate des Präsidenten auf dem Tiefpunkt auf 13 Prozent gesunken ist. Hollande posierte für Selfies; er zeigte sich zusammen mit dem letzten Überlebenden des SS-Massakers in Tulle im Jahr 1944. Kurzum, der 62-Jährige wirkte erleichtert, wie befreit von einer Würde und Bürde, an der er während seiner Präsidentschaft meist schwer trug.
2007 hatte Hollande seiner damaligen Nochlebensgefährtin, Ségolène Royal, den Vortritt als sozialistische Präsidentschaftskandidatin überlassen müssen. Vor fünf Jahren kam er nur deshalb zum Zug, weil Dominique Strauss-Kahn über einen Sexskandal stolperte. Das Image des blassen Bürokraten, das dem langjährigen Generalsekretär seiner Partei anhaftete, konnte er nie abstreifen.
Dem siebten Präsidenten der V. Republik fehlte das Charisma, das sich die Franzosen von ihrem Ersatzmonarchen erwarten. Nach der Ära des hyperaktiven Nicolas Sarkozy versprach François Hollande vor fünf Jahren, ein „normaler“ Präsident zu sein. Doch die Bilder, die sich anfangs von ihm einprägten, waren die eines begossenen Pudels: Ob bei der Militärparade am Nationalfeiertag oder beim Kriegsgedenken in der Normandie – der Regen prasselte auf den Staatschef im schwarzen Anzug ein. Als dann auch noch Fotos auftauchten, auf denen er sich im vermeintlichen Schutz der Dunkelheit auf dem Motorroller zu seiner Geliebten davonstahl, war er vollends zum Gespött des Boulevards und der Nation geworden.
Die Seifenoper um seine Affäre stellte selbst die seiner Vorgänger noch in den Schatten. Die Journalistin Valérie Trierweiler, seine Ex-Lebensgefährtin, charakterisierte ihn in einem Enthüllungsbuch als kalt, abgehoben und arrogant. Er selbst breitete sich in monatelangen Sitzungen gegenüber Journalisten aus, die die Frage provozierten, wann er denn eigentlich Zeit zum Regieren finde.
Aufstand von links und rechts
Innen- und wirtschaftspolitisch traute er sich erst nicht über die überfälligen Strukturreformen, und als er sie dann anging, endeten sie in halbherzigen Versuchen und scheiterten letztlich am Widerstand der Gewerkschaften und am Protest der Bevölkerung. Am Ende hatte er links wie rechts gegen sich aufgebracht. An ihm klebt das Etikett des unpopulärsten Präsidenten, von dem Biografen indessen behaupten, womöglich werde die Geschichte ihn rehabilitieren.
In der Außenpolitik zeigte er derweil Flagge. Als der Bürgerkrieg in der Exkolonie Mali zu eskalieren drohte, zögerte er nicht mit einer Intervention. Im Ukraine-Konflikt stellte er sich als Vermittler an die Seite Angela Merkels. Die Abstimmung mit Deutschland in EU-Fragen klappte reibungslos.
Seine vielleicht stärksten Momente hatte Hollande indes als Trauerredner und als – zumindest rhetorischer – Antiterrorkämpfer, als Schutzherr einer von zahllosen Terrorschlägen bedrohten Nation: vom Anschlag gegen die Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ über die Terrorserie des „schwarzen Freitags“ im November 2015 in Paris bis zum Attentat am Nationalfeiertag in Nizza. Nie wirkte er entschlossener als bei der Ausrufung des Ausnahmezustands in Versailles.
Dass seine Partei am Ende seiner Präsidentschaft am Boden liegt, dass ihn sein Protegé Emmanuel Macron im Stich ließ, der ihm „alles zu verdanken hat“, wie Hollande sagt – das hat an ihm genagt. Zuletzt aber forderte er ein ums andere Mal zur Wahl Macrons auf, um Marine Le Pen eine möglichst schwere Schlappe zuzufügen. Schließlich begreift er sich ja quasi als Erfinder Macrons.
Ehe er im Élysée in einer Woche den roten Teppich für seinen Nachfolger ausrollen lässt, gedenkt er heute des Endes des Zweiten Weltkriegs, um sich anschließend in Berlin von Angela Merkel zu verabschieden. Für Kontinuität aus seiner Sicht ist also gesorgt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2017)