Emmanuel Macron: Der Musterschüler, der den Élysée eroberte

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Wie aus einem unbeschriebenen Blatt der jüngste Staatschef der V. Republik wurde. Er nutzte seine Chance – und überrumpelte alle.

Der parteilose pro-europäische Kandidat Emmanuel Macron hat bei der Stichwahl für das französische Präsidentenamt am Sonntag 66,1 Prozent der Stimmen erhalten. Was passt als Beschreibung des neuen Präsidenten am besten zum Politiker und Menschen Emmanuel Macron? Musterschüler oder Senkrechtstarter, „unbekanntes Flugobjekt in der Politik“ oder – eher despektierlich gemeint – „Hollande-Baby“? Er selbst würde sich wohl am liebsten mit seinen Vorbildern Kennedy oder Obama vergleichen. Nicht alle seiner Mitbürger haben nach dieser Wahlkampagne ein genaues Bild von ihm. Sie kennen ihn allenfalls als Ex-Minister und vor allem als Präsidentschaftskandidaten.

Im Ausland ist er noch ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. Auch für seine Landsleute, die ihn jetzt trotz seiner Jugend und seines Mangels an Erfahrung in Führungsposten ins höchste Amt gewählt haben, war er noch vor drei Jahren ein Unbekannter. Und niemand hätte damals auf die Frage, wer Frankreichs nächster Staatschef sein werde, auf diesen jungen Mann mit den guten Manieren gewettet.

Bluffer und Pokerspieler

Das Wirtschaftsmagazins „Challenges“ vergleicht ihn mit einem Pokerspieler, der scheinbar unsinnige Risken eingeht und damit seine Gegner so sehr blufft, dass sie jetzt nur verdutzt zuschauen können, wie er seinen Gewinn einstreicht. In jeder Etappe auf seinem im Eiltempo zurückgelegten Weg an die Macht hat er im richtigen Moment auf die richtige Karte gesetzt. Als die französischen Sozialisten 2011 felsenfest davon überzeugt waren, der IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn werde gegen Nicolas Sarkozy gewinnen, zog Macron die Rolle eines Beraters beim Außenseiter François Hollande vor.

Er wurde nach dessen Wahlsieg 2012 als Vizegeneralsekretär im ?lysée-Palast einer der engsten Mitarbeiter des Präsidenten und verblüffte manchen der alten Füchse im Kabinett Hollande mit vorlauten, aber oft brillanten Einwänden und detaillierten Sachkenntnissen. Doch das reichte ihm nicht, er schlug die Tür des ?lysée-Palasts hinter sich zu. Schon zwei Monate später trug Hollande ihm im August 2014 einen Schlüsselposten in der Regierung an. Da er sich jedoch als Wirtschaftsminister mit seinen Reformideen nicht durchsetzen konnte, trat er zwei Jahre später zurück, um einen Anlauf auf die Präsidentschaft zu nehmen. Alles hätte schiefgehen können. Den spöttischen Prognosen zum Trotz fand die von ihm im April 2016 gegründete Bewegung En Marche! (Los geht's!) einen Massenzulauf.

Die Experten der Politik irrten wieder, als sie sagten, das sei nur heiße Luft. Mit unglaublichem taktischen Kalkül und dem richtigen Timing setzte sich Macron gegen alle anderen durch. Das Glück war auch auf seiner Seite: Bei den Konservativen wurde nicht der gemäßigte Alain Juppé nominiert, sondern der Hardliner François Fillon – und danach bei den Sozialisten nicht Manuel Valls vom sozialliberalen Flügel, sondern der Linkssozialist Benoît Hamon. Der Rest war nur noch ein praktisch fehlerfreier Parcours bis in die Stichwahl gegen eine Gegnerin, die für eine Mehrheit als Präsidentin schlicht nicht infrage kam. Mit seinem Platz im zweiten Wahlgang hatte Macron auch das Finale so gut wie gewonnen.

Medizinerfamilie

„Ich bin so stolz. Aber das war ich schon vorher. Emmanuel hat so viel Mut.“ So schwärmte der Vater des Wahlsiegers, der Neurologe Jean-Michel Macron – ein Arzt wie seine Frau, Françoise. Auch die Schwester und der Bruder haben Medizin studiert. Der am 21. Dezember 1977 in Amiens in der Picardie geborene Emmanuel Macron schlug also ein wenig aus der Art. Denn unter dem wohlwollenden Einfluss seiner Großmutter interessierte er sich schon als Kind mehr für französische Literatur als für Mathematik und Naturwissenschaften.

Die Lehrer im privaten Jesuitengymnasium La Providence erinnern sich noch heute an diesen hübschen und hochbegabten und etwas frühreifen Macron, der immer mehr wissen wollte, als im Lehrplan stand, und der mit ihnen nach dem Unterricht noch weiterdiskutieren wollte. Besonders angetan von diesem talentierten Jungen aber war die Französischlehrerin Brigitte Trogneux.

Liebe zur Philosophie und zu Brigitte

Er war erst 15 Jahre alt, als der Musterschüler und die begeisterte Lehrerin im Rahmen eines Theaterkurses zusammen ein Bühnenstück schrieben. Die Anziehung war gegenseitig, und sie war von Dauer. Auf Betreiben seiner Eltern zog der junge Emmanuel nach Paris, um seine Reifeprüfung am Elitegymnasium Henri IV. zu absolvieren. Die Beziehung zur 24 Jahre älteren und verheirateten Brigitte brach deswegen nicht ab. Vor zehn Jahren haben die beiden schließlich geheiratet. In der Kampagne Macrons war die künftige First Lady Coach und engste Beraterin, die bei keinem Auftritt und bei keiner Debatte fehlte. Sie lieferten bereitwillig Stoff für Klatschgeschichten in den Hochglanzmagazinen.

Die Politik war nicht Macrons erste Liebe – und die Ökonomie sogar noch viel weniger. Zuerst studierte er Philosophie an der Universität Nanterre, wo der bekannte Phänomenologe Paul Ricœur als Lehrer einen wesentlichen Einfluss auf ihn hatte. Danach ging es im Eiltempo weiter mit Abschlüssen in Politischen Wissenschaften und der Kaderschmiede ENA (Frankreichs Verwaltungshochschule), die ihm alle Türen für eine Spitzenkarriere öffneten. Das Angebot eines Führungspostens durch Arbeitsgeberpräsidentin Laurence Parisot lehnte er ab, nicht aber die Möglichkeit, bei der Rothschild-Bank während mehr als drei Jahren als Partner Übernahmegeschäfte einzufädeln. Für seine Kritiker von ganz links und rechts ist er damit ein für alle Mal ein Mann der „Finanz“.

Sein Manko: Mangel an Erfahrung

Macron hat mit hohem Einsatz gespielt – und gewonnen. Jetzt aber ändert sich mit seiner Wahl sein Status und damit auch die Natur der Risken. Nun gilt es, mit der erlangten Macht umzugehen und sie zu bewahren. Diese Schwierigkeit war schon mehr als einem seiner Vorgänger zum Verhängnis geworden. Im Unterschied zu den Konkurrenten hatte er vorher nie bei Wahlen kandidiert und nie ein Mandat als Volksvertreter ausgeübt. Seine Erfahrung in der Staatsführung beschränkt sich auf seine Zeit als Präsidentenberater und Minister. Das ist zweifellos ein Manko, das er mit den Vorschusslorbeeren und Glückwünschen am Wahlabend nicht kompensieren kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.05.2017)

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