Staatsanwalt: Brasiliens Präsident wollte Korruptionsermittlungen behindern

Michel Temer
Michel Temer APA/AFP/EVARISTO SA
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Michel Temer soll nicht nur Schweigegeldzahlungen gebilligt haben, sondern auch versucht haben, die Justizermittlungen zu behindern. Zurücktreten will er trotzdem nicht.

Brasiliens Präsident Michel Temer gerät immer tiefer in den Strudel um den größten Korruptionsskandal des Landes: Wie am Freitag bekannt wurde, soll er nicht nur Schweigegeldzahlungen gebilligt, sondern auch versucht haben, die Justizermittlungen zu behindern. Temer sowie andere einflussreiche Politiker hätten die Fortschritte der sogenannten Operation Lava Jato (Autowäsche) verhindern wollen.

Das erklärte Generalstaatsanwalt Rodrigo Janot. Sie hätten unter anderem versucht, mit "gesetzlichen Maßnahmen" die Ermittlungen zu sabotieren, schreibt Janot in einem schriftlichen Antrag für die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Präsidenten. Zudem hätten sie die Ernennung der Ermittler beeinflussen wollen. Neben Temer nennt der Generalstaatsanwalt auch den einflussreichen Senator Aécio Neves, gegen den seit Donnerstag ermittelt wird.

Damit wächst der Druck weiter auf Temer, zurückzutreten. Am Vortag hatte das Oberste Gericht in einem Paukenschlag Ermittlungen gegen das Staatsoberhaupt genehmigt. Zuvor war ein heimlicher Mitschnitt eines Gesprächs bekannt geworden, in dem Temer Schweigegeldzahlungen an den inhaftierten ehemaligen Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha zugestimmt haben soll. Dieser soll über umfassendes Wissen zu den Beteiligten in dem Korruptionsskandal verfügen.

Die Ermittlungen zu dem Skandal laufen bereits seit 2014, es geht um Schmiergeldzahlungen bei Auftragsvergaben von Konzernen in Millionenhöhe. Verwickelt sind große Teile der politischen und wirtschaftlichen Elite des Landes.

Temer will im Amt bleiben

Trotz des wachsenden Drucks wies Temer am Donnerstag alle Vorwürfe zurück und erklärte, er werde bis zum Ende seines Mandats im Amt bleiben. Seitdem hat er sich öffentlich nicht mehr geäußert. Nach Angaben eines Regierungsvertreters beriet er am Freitag im Palast mit engen Vertrauten über Strategien zur Beilegung der Krise. An einen Rücktritt denke der 76-Jährige weiterhin nicht.

Doch seine Gegner geben nicht auf: Bis Freitag wurden bereits acht Anträge auf ein Amtsenthebungsverfahren gestellt, in den Straßen von Rio der Janeiro und der Hauptstadt Brasília forderten tausende Menschen seinen Rücktritt. Für Sonntag sind weitere Massenproteste geplant.

Fraglich ist auch, ob seine Koalitionsregierung hält. Kulturminister Roberto Freire von dem kleineren Koalitionspartner PPS reichte bereits seinen Rücktritt ein, andere könnten Berichten zufolge folgen.

Ironischerweise ist das Parlament, das über Temers Schicksal entscheiden muss, selbst von dem Korruptionsskandal betroffen. Rund Zweidrittel der Abgeordneten hatten schon Probleme mit der Justiz, und gegen ein Drittel der Senatoren laufen Ermittlungen im Rahmen der "Operation Lava Jato".

Ex-Parlamentspräsident Cunha gilt als Drahtzieher der Amtsenthebung von Temers linksgerichteter Vorgängerin Dilma Rousseff vor einem Jahr. Nach Rousseffs Absetzung war ihr Temer als Vize-Präsident an die Staatsspitze nachgefolgt, sein Mandat läuft noch bis Ende 2018.

Umfragen zufolge ist er in der Bevölkerung äußerst unbeliebt, seine Sparpolitik treibt die Menschen regelmäßig auf die Straßen. Rousseffs Anhänger sehen sich durch die jüngsten Entwicklungen in ihrem Vorwurf bestätigt, die Amtsenthebung der Präsidentin am 12. Mai 2016 sei ein kalter Staatsstreich der konservativen und rechtsliberalen Kräfte gewesen.

4,6 Mio. Dollar Schmiergeld gezahlt

Allerdings wird Rousseff im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen Temer selbst belastet. Der Chef des Fleischproduzenten JBS, Joesley Batista, erklärte in einer am Freitag vom Obersten Gerichtshof veröffentlichten Aussage, er habe Temer 2014 rund 4,6 Millionen Dollar an Schmiergeld gezahlt.

Damals war Temer noch nicht Staatsoberhaupt, aber Stellvertreter von Präsidentin Dilma Rousseff. Batista erklärte, seine Firma habe erreichen wollen, dass das Erdgas-Monopol von Petrobras gebrochen wird. In seiner Zeugenaussage erklärte Batista, auch Rousseff, die 2016 wegen des Skandals abgesetzt wurde, habe Geld erhalten. Auf ihr Konto in einer Steueroase seien 30 Millionen Dollar geflossen. Der frühere Präsident Luiz Inacio Lula da Silva habe 50 Millionen Dollar erhalten.

Die Staatsanwaltschaft erklärte, die Zeugenaussage Batistas lege nahe, dass zudem der frühere Parlamentspräsident Eduardo Cunha, der in Haft sitzt und ein möglicher Zeuge ist, mit Zustimmung Temers monatliche Schweigegelder erhalten habe. Temer hat die Vorwürfe zurückgewiesen und einen Rücktritt abgelehnt. Auch Rousseff und Lula hatten mehrfach erklärt, sie seien unschuldig. Der Fall Petrobras ist der größte Korruptionsskandal in der Geschichte des Landes. In der Affäre wurden bereits Manager und Politiker angeklagt.

(APA/AFP/Reuters)

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