Wie Obama zum Wahlkampfhelfer von "Angela" wurde

German Chancellor Merkel and former U.S. President Obama wave at the end of a discussion at the German Protestant Kirchentag in front of the Brandenburg Gate in Berlin
German Chancellor Merkel and former U.S. President Obama wave at the end of a discussion at the German Protestant Kirchentag in front of the Brandenburg Gate in Berlin(c) REUTERS (Fabrizio Bensch)
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Merkel und der Ex-US-Präsident traten vor dem Brandenburger Tor auf. Der Termin im Rahmen des Kirchentags war umstritten. Schließlich ist Wahlkampf.

Barack Obama scheint kein nachtragender Mensch zu sein. 2008 hatte Kanzlerin Angela Merkel einen Auftritt des demokratischen Hoffnungsträgers vor dem Brandenburger Tor in Berlin verhindert. Der damalige US-Präsidentschaftskandidat musste vor der Siegessäule reden. Nun, neun Jahre später, hat Merkel eine Bundestagswahl zu schlagen. Und Obama sitzt neben ihr. Vor dem Brandenburger Tor. Es ist ein Diskussionsrunde im Rahmen des Evangelischen Kirchentages. Aber es gibt eben auch gute Bilder für die Kanzlerin.

Der gemeinsame Auftritt der beiden war nicht unumstritten. In der SPD rümpfte man die Nase. Auch innerhalb der Kirche soll es Streit gegeben haben, ob das Großereignis nicht zu parteipolitisch gerät, wenn Merkel vier Monate vor der Bundestagswahl eine solche Bühne geboten wird. Angeblich bestand Obamas Team darauf, dass die Kanzlerin an seiner Seite ist. Bestätigt ist das nicht. Auf den Ex-US-Präsidenten als Stargast des Evangelischen Kirchentags wollte man jedenfalls nicht verzichten. Zumal sie heuer 500 Jahre Reformation feiern und Obama in Deutschland noch immer zieht. „First of all: Guten Tag!“: Mehr muss der Ex-US-Präsident nicht sagen, um wie ein Popstar bejubelt zu werden. Die auffallend vielen jungen Besucher strecken nun ihre Handys für einen Schnappschuss in den Berliner Himmel. Obama deckt Merkel gleich zu Beginn mit Komplimenten ein: Die Kanzlerin sei ihm eine der „liebsten politischen Partnerinnen“ gewesen. Merkel leiste „herausragende Arbeit, nicht nur in Deutschland, sondern in der Welt.“ Wohlwollender hätten sie es auch im Konrad-Adenauer-Haus nicht formuliert.

70.000 Menschen kamen zum Auftritt Obamas.
70.000 Menschen kamen zum Auftritt Obamas.APA/AFP/CHRISTOF STACHE

Dabei hatten Merkel und Obama einst Startschwierigkeiten. Die Kanzlerin begegnete dem US-Präsidenten mit zur Schau getragener Zurückhaltung, ja Skepsis. Doch gemeinsam durchlebte Weltkrisen brachen das Eis. Und so sitzen die Pastorentochter und der US-Gast mit dem Pathos eines Predigers gestern gemeinsam vor 70.000 Besuchern. Irgendwo in diesem Meer aus Menschen, aus jungen helfenden Pfadfindern, aus Gästen mit Fernguckern in der Hand und Sonnenhüten auf dem Kopf, sitzt das Ehepaar Hobley auf Klappstühlen. Die beiden kommen aus England. Eines ihrer Kinder lebt in der Stadt Manchester, in die Islamisten ihren Terror getragen haben. „Man muss damit leben“, sagt Susan Hobley. eine ehemalige Pfarrerin. Ängstlichkeit sei keine Antwort. Vor dem Brandenburger Tor gibt es wegen der Terrorgefahr mobile Barrieren, da und dort stehen Polizisten mit Maschinengewehren in der Sonne, auch auf den nahen Dächern sind Scharfschützen zu sehen.

Dann gibt es Buhrufe

Hobley sagt auch, die Evangelische Kirche in Deutschland sei politischer als die Anglikanische in ihrer Heimat. Das gefällt ihr. Auf dem Podium geht es bald um Merkels Flüchtlingspolitik, die manchen als zu weich gilt. Aber auf dem Kirchentag finden sie den Kurs der Kanzlerin im Zweifel zu restriktiv. Der Moderator und Vorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, erzählt von vielen Briefen der Helfer in den Gemeinden, die Asylwerber beim Deutschlernen unterstützten und der Jobsuche – und die nun nicht verstehen, dass auch integrierte Afghanen abgeschoben werden. Merkel spricht nun vom „Dilemma“, von einer Kluft zwischen christlichem Mitgefühl und Realpolitik. Sie räumt ein, dass die Asylverfahren schneller bearbeitet werden hätte müssen, also bevor die Menschen in den Gemeinden landeten. Aber die Abschiebungen verteidigt sie. „Man muss sich auf die wirklich Hilfsbedürftigen konzentrieren“. Es gibt vereinzelt Buhrufe. „Ich weiß, dass ich mich damit nicht beliebt mache“, sagt Merkel. Obama merkt das auch. Er hilft nun „Angela“, wie er die Kanzlerin nennt. Trotz aller Barmherzigkeit „haben wir eine Verantwortung für die Bürger innerhalb unserer Grenzen und begrenzte Ressourcen“, sagt der 55-Jährige, dessen Karriere einst als Sozialarbeiter für die Trinity United Church of Christ in Chicago begonnen hatte.

Die Kanzlerin und Obama auf dem Podium.
Die Kanzlerin und Obama auf dem Podium.REUTERS


Für den US-Präsidenten wird es nur einmal kurz brenzlig. Ein Student auf der Bühne will wissen, wie es ihm als Mensch mit den hunderten Zivilisten gehe, die durch seine Drohnenangriffe getötet wurden. Obama räumt Fehler ein, in der Sache bleibt er hart: „Ich möchte gerne daran erinnern, dass wir Menschen bekämpfen, die bei einer Veranstaltung wie der heutigen in der Menge eine Bombe zünden würden.“ Vier Monate ist es her, dass Obama „das Staffelholz“ an Donald Trump übergeben hat. In der Zwischenzeit habe er „viel Schlaf nachgeholt“ und versucht, mehr Zeit mit seiner Frau Michelle zu verbringen: „Das ist ein Full-Time-Job“, witzelt er. Zur US-Innenpolitik sagt Obama nur, dass seine Gesundheitsreform in Gefahr sei.

Nach eineinhalb Stunden winken sie noch einmal, ein paar letzte gute Bilder für Merkel mit Obama, bevor sie zum Nato-Gipfel fliegt. Dort trifft sie den neuen US-Präsidenten dessen Name am Brandenburger Tor kein einziges Mal fällt: Donald Trump.

Der Ex-Präsident hat seine Fans.
Der Ex-Präsident hat seine Fans.REUTERS

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