„Geduld am Ende“: Italien will Flüchtlingsschiffe notfalls auch abweisen

Migrants are seen aboard of the Italian frigate ´Grecale´ as it arrives at the Catania harbour in the Italian island of Sicily
Migrants are seen aboard of the Italian frigate ´Grecale´ as it arrives at the Catania harbour in the Italian island of Sicily(c) REUTERS (Antonio Parrinello)
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In den vergangenen Tagen wurden mehr als 10.000 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet. Premier Gentiloni drängt auf mehr Solidarität durch die EU.

Rom. Italien erwägt, notfalls Rettungsschiffe mit Migrationswilligen aus dem Mittelmeer abzuweisen. Allen solchen Schiffen, die nicht unter italienischer Flagge oder im Auftrag einer der EU-Missionen im zentralen Mittelmeer fahren, könnte in Zukunft die Anlaufgenehmigung für italienische Häfen verweigert werden.

Dies dürfte vor allem Rettungsboote der NGOs treffen, um deren Arbeit es in den vergangenen Wochen eine heftige Polemik gegeben hatte. Diese werden zwar im zentralen Einsatzkommando der italienischen Küstenwache in Rom erfasst und koordiniert, genau wie alle anderen Rettungseinsätze. Aber bekanntlich fahren sie in selbsterklärten Auftrag, nicht dem von Italiens Regierung oder der Europäischen Union.

Dass von dieser Maßnahme auch die Schiffe der EU-Missionen Frontex, die für die Sicherung der EU-Außengrenzen zuständig ist, sowie Eunavmed, die die kriminellen Schleuserorganisationen im Mittelmeer bekämpfen soll, betroffen sein könnten, schrieb zunächst die Tageszeitung „La Repubblica“. Dies wurde allerdings von hohen Regierungsstellen dementiert.

„Europa kann sich nicht abwenden“

Regierungschef Paolo Gentiloni hatte am Mittwoch den diplomatischen Vertreter Italiens in Brüssel, Maurizio Massari, beauftragt, den EU-Flüchtlingsbeauftragten Dimitris Avramopoulos über die „ernsthafte Lage, in der Italien sich befindet” in Kenntnis zu setzen. „Europa kann sich nicht länger abwenden.“ Es sei nicht länger haltbar, dass sämtliche Menschen, die aus dem Meer geholt würden, in italienische Häfen gebracht würden, hieß es aus hohen Regierungskreisen.

In Dutzenden Einsätzen der EU-Schiffe und NGOs sind allein in den vergangenen vier Tagen mehr als 10.000 Personen aus dem Mittelmeer gerettet worden. Allein am Dienstag waren es über 5000. Mehr als 3000 Flüchtlinge wurden in die Hafenstädte der Inselregion Sizilien, nach Catania, Augusta, Pozzallo und Palermo, gebracht und dort versorgt. Diese Städte, die jede Woche hunderte Migranten aufnehmen, geraten an den Rand der Kapazitäten und jenen des Willens ihrer Bürger. Den politischen Alarm hatte der für die Flüchtlingsaufnahme verantwortliche Innenminister, Marco Minniti, ausgelöst. Am Dienstag hatte er eine US-Reise abgebrochen, als er sich bereits im Flugzeug über Irland befand. Er kehrte nach Rom zurück und berief eine Krisensitzung ein. 2016 waren über 182.000 Flüchtlinge nach Italien gekommen. Bis zum Ende diesen Jahres werden rund 230.000 oder eher noch mehr erwartet.

Minniti versucht seit seinem Antritt als Minister im Dezember 2016, den Ansturm in den Griff zu kriegen und bestmöglich zu organisieren. Für die Erstversorgung stockte er die 180.000 Plätze in Aufnahmezentren seit Anfang des Jahres noch einmal um 20.000 auf insgesamt 200.000 auf. In den kommenden Monaten werden mindestens noch einmal so viele dazukommen. Dennoch könnte Italien in diesem Sommer an den Rand seiner Möglichkeiten bei der Flüchtlingsaufnahme kommen.

Es werde weiter intensiv an einer Aufstockung der Erstaufnahmeplätze gearbeitet, heißt es in Rom. Italien werde weiter Menschen aufnehmen. Schulen, Sporthallen, Kasernen, ausgediente Fabrikhallen würden in den nächsten Wochen umfunktioniert. Ein Dekret Minnitis sieht vor, dass die Zuwanderungswilligen nach einem prozentualen Schlüssel gleichermaßen auf die Regionen Italien verteilt werden.

„Doch die Akzeptanz gegenüber neuen Flüchtlingen nimmt gefährlich ab”, hieß es. „Die Geduld ist am Ende”. Die Regierung Gentiloni ist bereits unter schwerem politischen Beschuss von Seiten der Rechtsparteien – Forza Italia, Lega Nord und Postfaschisten. Bei Kommunalwahlen in über 1000 Gemeinden Italiens am Sonntag gab es einen Rechtsruck, vor allem in der Lombardei, in Ligurien und dem Veneto.

AUF EINEN BLICK

Hafensperre. In Rom liegen angesichts der stark ansteigenden Migrantenzahlen die Nerven blank. 10.000 Menschen sind in den vergangenen Tagen bei Dutzenden Einsätzen aus dem Mittelmeer geholt worden. Der massive Menschenansturm überfordert Italiens Aufnahmesystem zunehmend. Die Regierung von Premier Paolo Gentiloni steht innenpolitisch unter Druck. Italien droht jetzt sogar mit einer Hafensperre – also Schiffen mit Flüchtlingen die Einfahrt in Häfen zu verwehren. Das würde auch Schiffe der Hilfsorganisationen sowie der EU-Grenzschutzbehörde Frontex betreffen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2017)

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