Venezuela: Mit dem Rücken zur Wand setzt Maduro auf Schlägertrupps

(c) APA/AFP/FEDERICO PARRA
  • Drucken

Präsident Maduro erhöht Druck auf Opposition, um Verfassungsänderung durchzubringen.

Buenos Aires/Caracas. Pünktlich zum Unabhängigkeitstag legten die Regierenden in Venezuela ein Zeugnis davon ab, wie sie Demokratie definieren. Noch ehe sich die Ende 2015 gewählte Nationalversammlung zu einer Sondersitzung zusammenfand, war der amtierende Vizepräsident, Tareck El Aissami, in Begleitung von 200 Anhängern im hohen Haus erschienen und hatte dort „das gemeine Volk“ aufgefordert, „in diesen Saal zu kommen und ein Bekenntnis abzugeben über die Zukunft dieses Landes“. Wenige Stunden später wurde dieses in aller Deutlichkeit erledigt. Während die Nationalversammlung tagte, öffneten die eigentlich zum Schutz der Volksvertreter abgestellten Nationalgardisten die Tore für die regierungsnahen Gruppen, die seit Monaten die Straßen in der Umgebung bevölkern und ihre Zeit damit verbringen, Parlamentarier anzupöbeln, zu bespucken und zu schlagen.

Nun durften sie ihr Werk im Inneren des klassizistischen Baus ausüben. Mit Holzprügeln, Rohren, Steinen, Messern und offenbar auch Pistolen gingen sie auf die Parlamentarier der Opposition und deren Mitarbeiter los. Fünf Abgeordnete und sieben Parlamentsbedienstete wurden verletzt. „Mich traktierten sie mit Steinen“, erklärte, blutend, der Abgeordnete Leonardo Regnault. „Das ist offenkundig eine von der Regierung veranlasste Aktion.“

Gestohlene Laptops und Handys

Die Angriffe der „colectivos“ – so nennen die Chavistas diese außerhalb aller Rechtsräume agierenden Gruppen – richteten sich nicht nur gegen die Gesundheit der Parlamentarier, sondern auch gegen deren Besitz. Handys und Laptops wurden gestohlen, Autos beschädigt. Den ganzen Tag wurde der Sitzungssaal vom Mob belagert, der Feuerwerkskörper zündete. Erst am Abend fand sich die Nationalgarde bereit, ein Spalier zu bilden, das den Volksvertretern den Ausgang ermöglichte.

Die Abgeordneten sahen in der Aktion den Versuch der Regierung, den Beschluss zu verhindern, den die oppositionellen Deputierten dann doch trafen: Am 16. Juli sollen die Venezolaner darüber abstimmen, ob sie zwei Wochen später eine neue verfassungsgebende Versammlung einberufen wollen. Am 30. Juli will die Regierung 521 Personen zusammenbringen. Jede der 340 Gemeinden soll einen Vertreter entsenden. Große Städte, fast alle in der Hand der Opposition, würden dabei gleich gewichtet wie die zahlreicheren kleinen Landkreise im Landesinneren, die von der Regierung kontrolliert werden. Zusätzlich sollen 181 Räte von kommunalen Verbänden und Gewerkschaften geschickt werden. Auch die werden von der Regierung kontrolliert. So wäre eine Mehrheit für Maduro sicher. In Umfragen sprechen sich hingegen mehr als 80 Prozent der Venezolaner gegen die Verfassungspläne aus. Unter den Gegnern sind auch viele Chavistas, die Maduros Autoritarismus ablehnen.

Staatsanwältin gegen Staatschef

Die lauteste Stimme dieser Dissidenten soll nach dem Willen der Regierung so schnell wie möglich verstummen. Ende der Woche soll der Oberste Gerichtshof die Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz entmachten, die Maduros Verfassungsmanöver als „erbärmlichen Staatsstreich“ geißelte. Sie leitete strafrechtliche Ermittlungen gegen Führer von Polizei und Nationalgarde ein und übergab belastendes Material über die Familie Maduro den US-Behörden. Maduros Sohn soll in Schmiergelddateien der brasilianischen Baufirma Odebrecht auftauchen, zwei Neffen der First Lady sitzen in einem New Yorker Gefängnis, nachdem sie verdeckten US-Ermittlern 900 Kilogramm Kokain verkaufen wollten.

Dubios bleibt die Rolle des Spezialpolizisten, der vorige Woche aus einem Hubschrauber der Kriminalpolizei mehrere Handgranaten auf das Oberste Gericht abwarf und das Innenministerium beschoss. Die Regierung geißelte den Akt als „Terror“ und erließ Haftbefehl für den Piloten, Fallschirmspringer Oscar Pérez. Dann tauchte erst der Hubschrauber unbeschadet auf einer waldigen Bergkuppe auf, schließlich meldete sich der Pilot in Videobotschaften über die sozialen Netze zurück. Oppositionelle vermuten, der Mann, der seinen Darstellungstrieb als Schauspieler auslebte, sei ein Agent Provocateur der Regierung. Pérez hat in seinen Videobotschaften angegeben, für eine Gruppe unzufriedener Soldaten und Polizisten zu sprechen, ohne jedoch konkrete Angaben zu machen.

Nun wurde bekannt, dass seit dem Beginn der Unruhen Anfang April 123 Armeeangehörige festgenommen wurden, 30 davon wegen Fahnenflucht und 40, weil sie Befehle verweigerten. Der Rest wurde wegen Raubes und Diebstahls verhaftet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Archivbild: Ecuadors Staatschef Lenín Moreno
Außenpolitik

Ecuador rückt von Maduro ab: Unterstützung in Südamerika bröckelt

Ecuadors linker Staatschef Lenín Moreno ruft Venzuelas Präsident Nicolas Maduro zum Dialog mit der Opposition auf.
Außenpolitik

Venezuela: Ganz Lateinamerika gegen Trump

Zahlreiche Länder kritisieren die Drohung des US-Präsidenten, militärisch in das Krisenland einzugreifen. Auch der Kongress ist dagegen.
Trump speaks to reporters at his golf estate in Bedminster, New Jersey
Außenpolitik

Trump erwägt militärisches Eingreifen in Venezuela

Es gebe mehrere Möglichkeiten, "darunter eine militärische Option, falls nötig", sagte Trump hinsichtlich der Krise in Venezuela.
Zeichnung von Nicolas Maduro
Außenpolitik

"Bruch der Demokratie": 17 Länder verurteilten Venezuela

Von Kanada über Mexiko bis Argentinien: Bei einem Sondertreffen verurteilten die Außenminister und ihre Vertreter das Handeln von Präsident Nicolas Maduro scharf.
Außenpolitik

Venezuela: UN erhebt schwere Foltervorwürfe gegen Sicherheitskräfte

Das UN-Menschenrechtsbüro kritisiert eine "exzessive Gewaltanwendung" in Venezuela. Seit April hätten Polizisten mindestens 46 Menschen getötet.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.