Deutschland: Der Aktionismus des Martin Schulz

Martin Schulz erhebt täglich seine Stimme, um sich zu erregen oder einen Missstand aufzuzeigen. Doch der Kanzlerkandidat findet damit nur wenig Echo.
Martin Schulz erhebt täglich seine Stimme, um sich zu erregen oder einen Missstand aufzuzeigen. Doch der Kanzlerkandidat findet damit nur wenig Echo. (c) REUTERS
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Der SPD-Chef versucht, Angela Merkel mit schriller Rhetorik vor sich herzutreiben. Dabei schießt er oft übers Ziel. Ein Parteifreund stiehlt ihm die Show: Außenminister Sigmar Gabriel.

Wien/Berlin. In ihrem Urlaubsort Sulden im Südtiroler Vinschgau, am Fuß des Ortlers auf 1900 Metern Seehöhe, schwebte Angela Merkel in den vergangenen Tagen über den Niederungen der Politik. Mochte der Erregungspegel der Spitzenpolitiker in Berlin – von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier über Außenminister Sigmar Gabriel bis zu Finanzminister Wolfgang Schäuble – über Recep Tayyip Erdoğan auch täglich anschwellen: Die Kanzlerin hüllte sich in Schweigen über den schwierigen Partner in Ankara.

Am Mittwoch empfing sie noch die britischen Royals im Kanzleramt, ehe sie Berlin den Rücken kehrte, um heute bei der Premiere der „Meistersinger von Nürnberg“ bei den Bayreuther Festspielen an der Seite des schwedischen Königs, Carl Gustaf, und seiner Frau, Silvia, wieder aufzutauchen.

Und was tat ihr Herausforderer, SPD-Chef Martin Schulz, in der Zwischenzeit? Der Kanzlerkandidat zerriss sich förmlich in der Öffentlichkeit: Kein Tag ohne neue Wortmeldung, ohne Empörung über die Türkei, über die Flüchtlingskrise in Italien und das Versagen der EU, über Missstände in Polen und Ungarn, über Absprachen in der deutschen Autoindustrie. Der frühere EU-Parlamentspräsident ergeht sich im hochtourigen Aktionismus, findet aber nur wenig Echo.

Als Schulz in der Vorwoche dem französischen Präsidenten, Emmanuel Macron, im ?lysée-Palast in Paris seine Aufwartung machte, um den deutsch-französischen Dynamo in der EU-Politik anzuwerfen, nahm davon niemand Notiz. Am Donnerstag hat sich der SPD-Chef bei Paolo Gentiloni, dem italienischen Premier, in Rom angesagt, um seine Solidarität in der Flüchtlingskrise zum Ausdruck zu bringen und Lösungsvorschläge zu diskutieren. Vermutlich wird auch dieses Gespräch unter der Wahrnehmungsschwelle bleiben.

So sehr sich Schulz auch ins Zeug legt – im Rampenlicht stehen andere. Dass ihm ausgerechnet Parteifreunde die Show stehlen, ist indessen eine bittere Pointe. Das Sommerinterview des Bundespräsidenten Steinmeier, des langjährigen SPD-Außenministers, in dem er überaus kritische und ungewohnt undiplomatische Töne gegenüber Erdoğan anschlug, machte Schlagzeilen. Zuvor hatte bereits Gabriel eine Neuausrichtung der Türkei-Politik angekündigt. Er hatte zwar Schulz auf die Bühne geholt – doch hinterher war das bald wieder vergessen. Die Schulz-Kritik an der Türkei ging angesichts der Pressekonferenz Gabriels jedenfalls unter.

Popularitätshoch für Gabriel

Schon im Vorfeld des G20-Gipfels in Hamburg hatten der SPD-Chef und der Außenminister einen gemeinsam Auftritt absolviert. Sie plädierten dafür, derartige Großereignisse künftig bei der UNO in New York abzuhalten – und brüskierten damit nicht nur die Kanzlerin, sondern auch einen Parteifreund, den Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz. Schulz und Gabriel traten gleichsam in vertuschten Rollen auf: Für Schulz war zu Beginn des Wahljahrs das Außenministerium bestimmt, für den damaligen Parteichef Gabriel die Kanzlerkandidatur – ehe sich Gabriel eines anderen besann. Inzwischen stellt der umtriebige Außenminister seinen Parteichef in den Schatten, in den Umfragen genießt er den Bonus des Chefdiplomaten.

Martin Schulz läuft dagegen immer verzweifelter dem Umfragehoch unmittelbar nach seiner Kür hinterher – und er überschlägt sich dabei mit seiner Kritik. Als er Merkel vorwarf, ihr Politstil sei ein „Anschlag auf die Demokratie“, schoss er weit über das Ziel hinaus. Neulich legte sich Schulz via Twitter mit dem US-Präsidenten an, was dieser allerdings ignorierte. Die Wahlkampfstrategie, mit schriller Rhetorik die Kanzlerin vor sich herzutreiben, ist bisher ins Leere gegangen. Die Flüchtlingsfrage zu thematisieren ist ein neuer Versuch – von dem nur die Rechtspopulisten von der AfD profitieren werden. Jetzt fällt auch noch sein Wahlkampfmanager krankheitshalber aus. Momentan kämpft Martin Schulz auf verlorenem Posten gegen Merkel – wie 2009 Steinmeier und 2013 Peer Steinbrück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2017)

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