Deutschland/Österreich: Zwei Wahlkämpfe im Vergleich

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Im Herbst schreiten die Wähler der Nachbarstaaten zur Urne. Was die beiden Länder trennt – und was sie eint. Ein Überblick.

Wien/Berlin. Von solchen Zahlen kann ÖVP-Finanzminister Hans Jörg Schelling nur träumen. Im ersten Halbjahr 2017 erwirtschaftete der deutsche Staat einen Rekordüberschuss von 18,3 Milliarden Euro. Die Steuereinnahmen sprudeln. Seit Jahren ist die gute Konjunktur Angela Merkels bester Wahlhelfer. Ein möglicher Grund, weshalb der deutsche Wahlkampf vor dem Urnengang am 24. September auch etwas lauwärmer anläuft als sein österreichisches Pendant (Wahl am 15. Oktober). Aber es gibt auch Parallelen, etwa rote Altkanzler, die Probleme machen.

Die Ausgangslage

Die Wahl in Deutschland scheint mehr oder weniger entschieden. Kaum war Martin Schulz von Brüssel nach Berlin übersiedelt, war der Schulz-Effekt in den Umfragen auch schon wieder verpufft. Mittlerweile ist die SPD auf Sigmar-Gabriel-Niveau gesunken, also unter 25Prozent, während die Union wieder an der 40-Prozent-Schwelle steht. Angela Merkel hat ihre Flüchtlingspolitik korrigiert und die schlimmste Krise ihrer zwölfjährigen Ära überwunden. Wenn sie jemand schlagen kann, dann nur sie selbst.

Von einer solchen Komfortzone kann Christian Kern in Österreich nur träumen. In den Umfragen hat die ÖVP mit Sebastian Kurz deutlich vorgelegt, während die SPÖ immer wieder Wahlkampfpannen zu verkraften hat (siehe „Die Berater“). Allerdings: Der Kurz-Effekt basiert auf Stimmen, die bisher der FPÖ zugerechnet wurden. Und die Freiheitlichen haben sich erst diese Woche in den Wahlkampf eingemischt. Gut möglich, dass sich einige Wähler wieder zurückbewegen. Darauf hofft zumindest Kanzler Kern.

Die Flüchtlingsfrage

Während der Wahlkampf in Österreich entlang der Mittelmeerroute verläuft, war das Flüchtlingsthema in Deutschland lang tabu. Zwar bewegen Themen wie Integration und Zuwanderung die Wähler über die Ländergrenzen hinweg, wie neue Umfragen zeigen. Es gab aber einen breiten deutschen Konsens, dass ein „Flüchtlingswahlkampf“ nur der AfD nutzen würde. Als Martin Schulz, händeringend nach einem Thema suchend, doch einmal das Schweigen zum Flüchtlingsthema durchbrach, verfing das nicht. Seine SPD hat Merkels (inzwischen geänderten) Kurs mitgetragen, bis hin zur Wortwahl „Wir schaffen das“. Anders als Sebastian Kurz. Er hat sich früh gegen Merkels Politik gestellt und kann das Thema nun trommeln. Dem Juniorpartner ÖVP hilft das Flüchtlingsthema also, dem Juniorpartner SPD eher nicht.

Hinzu kommt: In Österreich setzt die FPÖ als stärkste Oppositionspartei den Ton und die Koalition unter Zugzwang, weshalb die Asyldebatten hierzulande etwas aufgeregter verlaufen als beim großen Nachbarn. Dort gab es im Bundestag rechts der Union – nichts. Auf der Oppositionsbank saßen Linkspolitiker und Grüne. Das wird sich nun ändern – auch wegen der Flüchtlingskrise.

Die Rechtsparteien

Am 24. September wird die CSU ihren toten Übervater Franz Josef Strauß enttäuschen müssen, der sich eine demokratisch legitimierte Kraft rechts der CSU verbat. In der jüngsten ARD-Umfrage kommt die AfD auf zehn Prozent. An das erklärte Vorbild FPÖ, die in Umfragen um die 25-Prozent-Marke kreist, reichen die deutschen Rechtspopulisten indes nicht heran. Für die AfD wäre Platz drei ein kleiner Triumph, für die FPÖ eine Enttäuschung. Die AfD ist keine reine Professorenpartei mehr. Aber volksnahes, charismatisches Spitzenpersonal fehlt. Weshalb FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache als Gastredner im AfD-Bierzelt besonders gut ankommt. Anders als der FPÖ schlägt der AfD auch Ablehnung des Boulevards entgegen. Wenn sie Schlagzeilen macht, dann mit Machtkämpfen und Richtungsstreitigkeiten, den vielen Kinderkrankheiten, die einst die FPÖ gebeutelt haben. Und während sich die FPÖ nach der Wahl den Koalitionspartner vielleicht aussuchen darf, ist eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen. Salonfähig ist die Rechtspartei noch lang nicht.

Die Krise der Grünen

Die Grünen haben schon bessere Zeiten erlebt, da wie dort. Das hat sicher mit dem politischen Zeitgeist zu tun, der auf Sicherheitspolitik fokussiert ist. Aber nicht nur. Vor allem die Krise der hiesigen Grünen ist weitgehend hausgemacht. Im Mai trat Bundessprecherin Eva Glawischnig zurück, im Juni machte sich mit Peter Pilz einer der bekanntesten grünen Exponenten selbstständig. In den Umfragen hat seine Liste zu den Grünen aufgeschlossen. Die 12,4 Prozent aus dem Jahr 2013 scheinen derzeit sehr weit weg, wenn es so weitergeht, müssen die Grünen um den Parlamentsverbleib zittern.

Auch die deutschen Grünen schwächeln, aber sie haben weniger zu verlieren. Bei der Wahl 2013 reichte es für 8,4 Prozent. Allerdings ist in Deutschland der Verdrängungswettbewerb links der Mitte größer. Neben der SPD gibt es die Linkspartei, die vor vier Jahren besser als die Grünen abgeschnitten hat (8,6 Prozent). In Österreich hat Pilz Ambitionen in diese Richtung angedeutet. Sozialpolitisch blinkt seine Liste eindeutig links. Für eine Einordnung ist es aber noch zu früh.

Die Berater

Die SPÖ hat Alfred Gusenbauer, die SPD Gerhard Schröder. Beide haben sich nach ihrer Kanzlerzeit dem Kapitalismus hingegeben, was dann doch viele Sozialdemokraten kritisch sehen. Das eigentliche Problem sind aber in beiden Fällen die Auftraggeber. Schröder ist nicht nicht nur freundschaftlich mit Wladimir Putin verbunden, sondern seit 2005 auch auf Umwegen über die Nord Stream AG. Inzwischen wurde bekannt, dass der Ex-Kanzler Ende September auch Aufsichtsrat im russischen Ölkonzern Rosneft werden soll. Woraufhin Schulz auf Distanz zu den Ambitionen seines Parteifreunds ging: „Ich würde das nicht tun.“

Kanzler Kern will demnächst ein Vieraugengespräch mit Gusenbauer führen. Nicht, weil sein Vorvorgänger den autokratischen Präsidenten Kasachstans, Nursultan Nasarbajew, berät. Sondern, weil er Geschäftsbeziehungen zum Investor Benny Steinmetz und zum Spindoktor Tal Silberstein unterhält. Beide stehen unter Korruptionsverdacht. Für den Wahlkampf ist das insofern relevant, als Silberstein bis vor Kurzem Kern beraten hat – auf Vermittlung Gusenbauers.

Und so wurden zwei rote Altkanzler zur Hypothek für ihre Parteien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.08.2017)

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