Das TV-Duell mit Merkel bringt eine Neuigkeit: Die SPD will nun einen Abbruch der
EU-Türkei-Verhandlungen. Ansonsten gelingt es Schulz kaum, Merkel aus der Reserve zu locken.
Berlin. In all den erfolglosen Wochen hat sich die SPD an einem kleinen Fernsehpult festgehalten. Hier im TV-Studio in Berlin-Adlershof wähnten sie die letzte Chance, die Stimmung noch zu drehen. Zur besten Sendezeit flimmerte ihr Herausforderer im blauen Anzug, mit Bart, Brille und Halbglatze auf den Schirmen in den deutschen Wohnzimmern. Eine größere Bühne gibt es für Martin Schulz in diesem Wahlkampf nicht mehr. Die einzige direkte Konfrontation mit Kanzlerin Angela Merkel war seine letzte Chance. Er brauchte einen haushohen Sieg in diesem Duell. der ihm aber wohl nicht gelungen ist. In ersten Umfragen schnitt die Kanzlerin sogar besser ab. Es wäre ein Premiere.
Angriffig bei Türkei-Politik
Schulz ist Merkel rhetorisch überlegen. Er formuliert klarer als die Kanzlerin. Inhaltlich punktet der SPD-Chef aber nur mit der Türkei-Politik: „Wenn ich Kanzler bin, werde ich die EU-Verhandlungen mit der Türkei abbrechen“, sagt er. Das ist neu – und soll Merkel zu inhaltlichen Festlegungen zwingen. Die Außenpolitik ist Merkels Stärke, aber ihre Türkei-Politik halten die Deutschen für zu weich. Merkel sieht sich am Ende zur Ankündigung gezwungen, selbst mit ihren EU-Kollegen über ein Ende der Beitrittsverhandlungen zu sprechen. Einmal kann Schulz Merkel also inhaltlich stellen, die sich bisher mühelos durch diesen seltsam einschläfernden Wahlkampf bewegt hatte – unter dem Gestöhne der SPD, wonach sie das Land einlulle und inhaltliche Auseinandersetzungen scheue. Jeder dieser Angriffe lief ins Leere. Merkel hielt ihren Herausforderer auf Distanz, 14 bis 17 Prozentpunkte trennen ihre Union von der SPD in den Umfragen. Für etwas mehr als eineinhalb Stunden trennten die beiden Kandidaten nur 1,40 Meter.
Gleich zu Beginn taucht das prägende Thema von Merkels dritter Amtszeit auf, vielleicht ihrer ganzen Ära. Schulz stürzt sich auf ein Merkel Zitat, wonach sie alle wichtigen Entscheidungen in der Flüchtlingskrise 2015 wieder so treffen würde. „Dazu rate ich nicht“, sagt Schulz, der Merkel nur vorwirft, europäische Partner nicht eingebunden zu haben. Irgendwann lässt Merkel beiläufig fallen, dass sie sich ja mit ihrem Außenminister (SPD) abgesprochen habe. Die SPD hat eben alles mitgetragen. Schulz kämpft rhetorisch an. Aber die inhaltlichen Grenzen zwischen den beiden Parteien verschwimmen.
Ein Unterschied tut sich bei der Rente auf. Das liegt zunächst daran, dass die Union kein Rentenkonzept hat - "kein Handlungsbedarf". Schulz ringt Merkel jetzt immerhin ein Bekenntnis ab: "Ein Rente mit 70 wird es nicht geben", sagt die Kanzlerin. "Schulz repliziert nun bissig: "Frau Merkel, finde ich toll, à la bonheur". Aber im letzten Duell 2013 habe Merkel ja auch versprochen, dass die Pkw-Maut nicht kommt: "Nun wissen wir ja, wie das endete. Mal sehen, wie das bei der Rente mit 70 ist."
Nur draußen vor dem Studio gibt es ein hitziges Duell: „Wir sind Kanzler – wer seid Ihr?“, skandiert die Junge Union, deren Schützlinge Leibchen tragen mit der Aufschrift „Voll muttiviert“. Aber drinnen geht es entspannter zu. Merkel ruht in sich, sie wirkt gelassen. Schulz ist schon der vierte Sozialdemokrat, der neben ihr hinter dem Stehpult auftaucht. Beim ersten, Gerhard Schröder, wurde es nach dem TV-Duell noch gefährlich, mit ihren SPD-Ministerkollegen und Herausfordern Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück gab es danach eher ein Duett als ein Duell, nach denen die SPD-Herausforderer zwar ein bisschen aufholen konnten. Der Effekt verpuffte jedoch rasch. Alle Änderungswünsche der Sender an dem wenig mitreißenden TV-Format zerschellten an den Boykottdrohung des Kanzleramts. Merkel hat auch gestern im Duell das letzte Wort. So hat es das Los entschieden. Die Zukunftsthemen, die in diesem TV-Duell bisher nicht vorkamen, räumt sie jetzt ab, spricht von Bildung, Digitalisierung der Arbeitswelt. „Wir können das schaffen“, sagt sie.
Sofort beginnt hinter den Kulissen der Kampf um die Deutungshoheit des Duells. Viel Prominenz ist hier im Zuschauerraum. CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und Merkel-Anhängerin Uschi Glas etwa oder SPD-Justizminister Heiko Maas. Anhänger von SPD und CDU erklären nun Interessierten, warum der jeweilige Kandidat das Duell gewonnen hat.
Die SPD hatte Schulz schon am Morgen vor dem TV-Duell zum Sieger erklärt. In einer Panne tauchte versehentlich eine SPD-Anzeige online auf: "Merkel verliert klar gegen Schulz“, war zu lesen. Es kam dann doch ein bisschen anders.
(strei)