SPD: Der Absturz des vermeintlichen Heilsbringers

Martin Schulz muss ein niederschmetterndes Resultat zur Kenntnis nehmen.
Martin Schulz muss ein niederschmetterndes Resultat zur Kenntnis nehmen.(c) REUTERS
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Martin Schulz fuhr das miserabelste Wahlergebnis in der SPD-Geschichte ein. Die Kanzlerin hat ihren Juniorpartner erneut erdrückt. Die Parteibasis fordert nun den Gang in die Opposition.

Berlin. Auf dem Weg von Aachen nach Berlin hatte Martin Schulz am Sonntag genug Zeit, sich eine Interpretation für das Wahldesaster für die SPD zurechtzulegen. Drei Mal stand er im Frühjahr auf dem Podium des Willy-Brandt-Hauses, jedes Mal musste er eine Schlappe bei den Landtagswahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen erklären – und jedes Mal blickte ihm sein Idol Brandt in Form einer überlebensgroßen Skulptur über die Schulter. Im Boxerjargon sprach der SPD-Chef nach einer der Niederlagen von einem „Leberhaken“.

„Das ist ein schwerer und bitterer Tag für die deutsche Sozialdemokratie“, hob er an, zunächst sehr gefasst und ruhig, um sich später in einen kämpferischen Ton zu steigern. „Der Platz für die SPD ist in der Opposition.“ Es sei eine Zäsur, über die kein Demokrat hinweggehen könne, sagte er. „Wir sind ein Bollwerk der Demokratie in diesem Land.“ Aus der Opposition heraus werde die SPD die Polarisierung zwischen links und rechts vorantreiben, gab er als Parole aus.
Die SPD-Spitze hatte sich offenbar psychisch und politisch auf den Absturz eingestellt, den ihr die Umfragen prognostiziert haben. Fraktionschef Thomas Oppermann ist am Wahlabend als erster vor die Kameras getreten und gab den Tenor vor, gefolgt von Manuela Schwesig, der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern und Vizeparteichefin: Die große Koalition ist beendet.“ Die SPD-Führung nahm die Stimmung an der Basis auf, die lautstark für einen Gang in die Opposition eintritt – „nur weg von Merkel“, wie es unter den Funktionären und Anhängern im Willy-Brandt-Haus heißt.

Ein „Annus horribilis“

Es wäre der Parteiführung ohnehin nicht viel anderes übrig geblieben, als dem Ruf zu folgen. Sie hatte eine Regierungsbeteiligung an das Votum einer Urabstimmung geknüpft – und anders als noch vor vier Jahren wäre es mit einiger Sicherheit negativ ausgefallen.

Für die SPD ist 2017 somit zum „Annus horribilis“ geworden, zu ihrem schlimmsten Jahr in der Nachkriegsgeschichte geworden: Sie verlor drei Landtagswahlen – darunter jene im roten Herzland Rheinland-Westfalen –, zwei Ministerpräsidenten und nun auch noch die Bundestagswahl.
Frank-Walter Steinmeier 2009, Peer Steinbrück 2013, Martin Schulz 2017: Die Sozialdemokraten haben ja bereits eine gewisse Routine darin, Wahldebakel zu kommentieren. Doch diesmal gab es nichts schönzureden. Dabei sollte die Wahl zum Triumphzug werden. Nach seiner Kür zum Kanzlerkandidaten war Schulz, mit 100 Prozent der Delegiertenstimmen zum Parteichef gewählt, von den Medien wahlweise als „Messias“ und „Sankt Martin“ apostrophiert, auf der Welle einer riesigen Euphorie angetreten: Die Umfragen sahen ihn auf Augenhöhe mit Angela Merkel. Innerhalb weniger Wochen zog er die SPD um mehr als zehn Prozentpunkte in den Umfragen hoch, die SPD gewann binnen Kurzem mehr als 10.000 neue Mitglieder und durch die Ortsvereine ging ein Ruck.

Doch im Laufe des Frühsommers machten sich zunehmend Ernüchterung und Enttäuschung breit. Auch Schulz schaffte das Wunder der Wende nicht. Nun muss er die Partei erneuern.

(vier/strei)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2017)

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