Koalitionen

Deutschland: Der weite Weg nach „Jamaika“

Die CDU-Kanzlerin will mit der SPD trotz deren Koalitionsabsage das Gespräch suchen.
Die CDU-Kanzlerin will mit der SPD trotz deren Koalitionsabsage das Gespräch suchen. (c) APA/dpa/Gregor Fischer
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In Berlin kommt Karibikstimmung auf, in München indes weniger. Die Hürden für eine Koalition zwischen CDU/CSU, FDP und Grünen sind gewaltig. Doch es gibt keine Alternative.

Berlin. Noch in der Stunde der Wahlniederlage breitete sich im Konrad-Adenauer-Haus Karibik-Stimmung aus. „Jamaika, Jamaika, Jamaika“: In Zwiegesprächen sehnten sich enttäuschte CDU-Anhänger auf die rettende Insel, also in ein Bündnis mit FDP und Grünen, nur weg aus dieser Großen Koalition, die diesmal nicht allein der SPD, sondern auch der Union geschadet hat. Ein paar Stockwerke weiter oben sah das eine Frau anders. Angela Merkel will die „GroKo“, die große Koalition, zumindest als Option. In der TV-Elefantenrunde am Wahlabend ließ sie die giftigen Attacken des SPD-Chefs über sich ergehen. Ein sichtlich gereizter Martin Schulz ätzte gegen die „Ideenstaubsaugerin“ und warf ihr „skandalösen Wahlkampf“ vor. Die Kanzlerin lächelte alle Angriffe milde weg.

„Oochh“, sagte sie an einer Stelle, als ihr Schulz wieder ins Wort fiel. Doch Merkels Langzeit-Koalitionspartner ist weg, auch wenn die Kanzlerin am Montag im Konrad-Adenauer-Haus noch einmal ankündigte, sie werde das Gespräch mit Schulz suchen. „Ich rufe Sie an“, hatte sie sich nach der Elefantenrunde verabschiedet.

Merkel beschreibt ihre Politik gern als alternativlos. Aber sie selbst hasst es, über keine Alternativen zu verfügen. Die Wahl stürzt die geschwächte Kanzlerin in ein doppeltes Dilemma. Nach der SPD-Absage bleibt nur noch eine Option: „Jamaika“ mit FDP und den Grünen. Letztere plädieren für eine liberale Flüchtlingspolitik. Zugleich drängt die CSU, die 2018 eine Landtagswahl vor der Tür hat, nach den Verlusten auf einen restriktiven Kurs in der Flüchtlingspolitik.

Vorbild Schleswig-Holstein?

Der schlaksige Mann mit dem jungenhaften Gesicht war vor ein paar Wochen noch als „Daniel, wer?“ verspottet worden. Jetzt ist Daniel Günther ein gefragter Mann – als CDU-Ministerpräsident in Schleswig-Holstein, wo seit ein paar Monaten „Jamaika“ exerziert wird. „Wie läuft es?“, lautet nun allenthalben die Frage an ihn. Es „funktioniert“, sagt Günther. Auf Bundesebene seien die Hürden höher - bei den Themen innere Sicherheit oder der Integrationspolitik. Die CSU in Bayern kompliziere die Sache nur weiter. Doch im Prinzip macht sich der Schlaks für Jamaika stark.

Bei den Grünen erwärmen sich nicht wenige, vor allem bei den Realos um das Spitzenkandidaten-Duo Cem Özdemir und Katrin Göring Eckardt, für Schwarz-Gelb-Grün. Am Horizont sieht sich Özdemir schon als Außenminister, Göring-Eckardt als Umweltministerin. „Wir werden keine einfachen Partner“, sagt die Theologin und Merkel-Gesprächspartnerin. „Das wird kompliziert“. Tiefstapeln gehört zur Strategie.

Die Hürden sind hoch: Die Grünen weigern sich, Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer anzuerkennen. Die CSU steht indes mit ihrer Forderung nach einer Flüchtlings-„Obergrenze“ alleine da. Zugleich wird sie darauf noch energischer drängen. Ein Ablaufdatum für den Verbrennungsmotor, wie es die Grünen für 2030 erwägen, kommt weder für CSU noch für die FDP infrage. Die Grünen wollen die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke abschalten, die FDP nicht. Und die grüne Forderung nach einer Vermögenssteuer hat ziemlich sicher keinen Platz auf „Jamaika“. Zugleich müssen die grünen Realos wichtige Positionen durchboxen, um die Fundis der Öko-Partei um ihren Guru Jürgen Trittin ruhigzustellen. Er hatte 2013 ein Machtwort gegen Schwarz-Grün eingelegt. An der CDU werde es bestimmt nicht scheitern, spottete SPD-Chef Schulz. „Sie kriegen alles durch“, prophezeite er FDP und Grünen. „Frau Merkel wird ihnen da entgegenkommen.“

Noch vor Wochen fehlte Christian Lindner die Fantasie für „Jamaika“, zumal es auch in der Währungspolitik große Differenzen gibt. Bei Bildung und Digitalisierung drängen sich jedoch Gemeinsamkeiten zwischen den alten Rivalen auf. FDP und Grüne begannen deshalb auch sofort nach der Wahl, die alten gegenseitigen Feindbilder abzuräumen. FDP-Vize Wolfgang Kubicki aus dem Jamaika-Land Schleswig-Holstein merkte jedoch süffisant an: „Wer Freie Demokraten als Menschenfeinde tituliert hat, muss jetzt erklären, wie er mit Menschenfeinden kooperieren will.“ Merkel will sich Zeit lassen mit den Verhandlungen. „In der Ruhe liegt die Kraft“, so lautet ihr Credo.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.09.2017)

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