Kataloniens Unabhängigkeit in Raten

Hochspannung in Barcelona
Hochspannung in BarcelonaREUTERS
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Der separatistische Regionalchef Puigdemont „verschob“ am Dienstag die Abspaltung von Spanien, danach unterzeichnete er eine "symbolische Unabhängigkeitserklärung".

Barcelona. Einen Schritt vor, einen Schritt zurück – und doch wieder ein Schritt vor. Kataloniens separatistischer Ministerpräsident Carles Puigdemont erklärte am Dienstagabend in einer Rede vor den Abgeordneten der Regionalkammer: "Ich schlage vor, dass das Parlament die Unabhängigkeitserklärung aussetzt." Das enttäuschte viele Katalonen, die eigentlich mit einer Separation gerechnet hatten. Aber der Ministerpräsident machte auch deutlich: Auf seine Unabhängigkeitspläne werde Katalonien nicht verzichten. Er bat gestern das Parlament um ein Mandat, "um Katalonien zu einem unabhängigen Staat zu erklären". Das klang nach einer Unabhängigkeitserklärung auf Raten.

Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, traf sich Puigdemont nach seiner Rede im Regionalparlament am späten Abend mit anderen katalonischen Politikern. Sie unterzeichneten gemeinsam ein Dokument, in dem es hieß: "Wir gründen die katalanische Republik, als unabhängigen und souveränen Staat." Alle Staaten und internationalen Organisationen seien aufgerufen, die katalanische Republik als einen unabhängigen und souveränen Staat anzuerkennen. Die katalonische Regierung wiederum werde aufgefordert, alle für eine Unabhängigkeit nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Völlig unklar war, welche Bedeutung dieses von Puigdemont und den anderen katalonischen Politikern unterzeichnete Dokument denn nun hat.

Vor dem Hintergrund des allgemeinen Rätselratens sagte ein Sprecher der katalanischen Regierung der Deutschen Presse-Agentur, es habe sich um eine "symbolische Unabhängigkeitserklärung", um eine "Absichtserklärung" gehandelt. "Der Ball liegt nun bei Rajoy. Man hat uns darum gebeten, auf die Bremse zu treten, und das haben wir getan." Man wolle Dialog und habe Vermittlungsangebote "von Organisationen und Ländern" erhalten, hieß es. Unter anderem war in den vergangenen Tagen über eine Vermittlung durch die Schweiz spekuliert worden.

Regionalchef Puigdemont beim Unterzeichnen des Dokuments
Regionalchef Puigdemont beim Unterzeichnen des DokumentsReuters

Puigdemont war zuletzt stark unter Druck gesetzt worden, auf die Bremse zu steigen. Sowohl die EU, als auch hochrangige katalanische Wirtschaftvertreter oder Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau hatten auf den Regionalchef eingeredet, auf eine unilaterale Unabhängigkeitserklärung zu verzichten. Die Regionalregierung ist nun tief gespalten: Die linksradikale CUP hatte bis zuletzt auf eine sofortige Sezession gepocht, was offenbar noch am Nachmittag zu heftigen Streiterein innerhalb der Regierungskoalition geführt hatte. Wegen der Zerwürfnisse musste am Abend Puigdemonts Rede um eine Stunde verschoben werden.

Seine Rede nützte jedenfalls der Regionalchef, um die Zentralregierung erneut heftig zu attackieren. Die Madrider Regierung habe jeden Versuch des Dialogs von Seiten Kataloniens abgelehnt: „Die Antwort war immer eine radikale und absolute Weigerung, kombiniert mit einer Verfolgung der katalanischen Institutionen“, sagte er. Und an alle Spanier gerichtet, betonte er: "Wir sind keine Verbrecher, keine Verrückten, keine Putschisten."

In dem Dokument heißt es unter anderem: "Wir gründen die katalanische Republik, als unabhängigen und souveränen Staat."
In dem Dokument heißt es unter anderem: "Wir gründen die katalanische Republik, als unabhängigen und souveränen Staat."Reuters

Stellungnahme am Mittwoch

Durch die „Aussetzung“ der Unabhängigkeitserklärung ist die Krise um Katalonien vielleicht vorerst etwas entschärft, aber noch lange nicht gelöst. Offen war, wie Madrid auf das Gesprächsangebot Puigdemonts reagiert. Spanien hat bisher jegliche Verhandlungen über die Unabhängigkeit verweigert. Madrid hat auch "internationale Mediationen" abgelehnt, da es sich um eine innerspanische Angelegenheit handle. Am Mittwoch, will Premier Mariano Rajoy vor der Abgeordnetenkammer zu Puigdemonts Rede Stellung nehmen.

Er hatte zuvor  für den Fall einer Unabhängigkeitserklärung angekündigt, dass Madrid Artikel 155 der Verfassung anwenden werde. Damit könnte die Zentralregierung komplett die Kontrolle in der aufmüpfigen Region übernehmen, die Regionalregierung absetzen, das Parlament auflösen und Neuwahl in Katalonien durchsetzen.

In der Mitte gespalten

In der Hafenmetropole herrschte gestern Hochspannung: An Flughäfen und Bahnhöfen wurden die Sicherheitsvorkehrungen massivst verstärkt. Vor den Toren des Parlamentsgeländes hatten sich schon am Nachmittag tausende Demonstranten versammelt. Sie skandierten "Unabhängigkeit". Der Parlamentspalast wurde weiträumig abgesperrt. Hubschrauber schwirrten über dem Areal am Rande der berühmten Altstadt Barcelonas liegt. Die beiden großen Plattformen der Unabhängigkeitsbewegungen, die Assamblea Nacional Catalana (ANC) und Òmnium hatten aufgerufen, vor dem Parlament Flagge zu zeigen.  „Hola republica“ (Hallo, Republik) stand auf Transparenten.  

Die Katalonien-Krise hatte am 1. Oktober einen vorläufigen Höhepunkt erreicht, als die Regionalregierung trotz Verbotes des spanischen Verfassungsgerichtes über die Unabhängigkeit abstimmen ließ. Nur 43 Prozent der Berechtigten hatten mitgemacht. Spanientreue Parteien hatten dieses Plebiszit boykottiert. Deswegen stimmten fast nur die Unabhängigkeitsanhänger ab. 90 Prozent der Teilnehmer antworteten damals auf die Frage „Soll Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik werden?“ mit „Ja“. Auch wenn dies nicht dem wahren Meinungsbild in der katalanischen Gesellschaft entspricht, die allen Erhebungen zufolge ziemlich genau in der Mitte geteilt ist: Kataloniens Separatistenparteien hatten nie einen Zweifel daran gelassen, dass dies genug sei, um ihre Unabhängigkeitspläne voranzutreiben.

Hintertür bleibt offen

Bereits im September hatte die Unabhängigkeitsfront im Parlament beschlossen, dass ein Sieg der Ja-Stimmen automatisch die Unabhängigkeit zur Folge habe. So schrieben sie es in Artikel 4.4 des katalanischen Referendumsgesetzes, in dem es heißt: „Wenn es mehr bejahende als verneinende Stimmen gibt, hat dieses Ergebnis die Unabhängigkeit zur Folge.“ Die Separatisten haben aber noch eine Hintertür für einen Zeitplan oder Verhandlungen mit Spanien offengelassen. Man werde im Parlament nach der Unabhängigkeitserklärung „die Auswirkungen konkretisieren“, heißt es im Gesetzestext. Diese „Konkretisierung“ legte Puigdemont dann auch am Dienstagabend vor.

Dass Spaniens Verfassungsgericht das Referendum wie auch das dazugehörige Referendumsgesetz für illegal erklärt hatte, störte Puigdemont und seine Weggefährten bis zuletzt nicht. „Wir erfüllen nur den Willen des katalanischen Parlaments“, sagte Puigdemont. Die spanische Verfassung und Gerichtsbarkeit wird von der katalanischen Regierung nicht mehr anerkannt.  Deswegen laufen bereits strafrechtliche Ermittlungen gegen Puigdemont und andere  Verantwortliche der Unabhängigkeitsbewegung. Ihnen könnte wegen Rechtsbeugung, Ungehorsam und  Rebellion der Prozess gemacht werden. Doch auch die Aussicht ins Gefängnis zu wandern, schreckt Puigdemont nicht. „Wir werden tun, wofür wir angetreten sind“, bekräftigte er. Der Unabhängigkeitsprozess werde auch ohne ihn weitergehen.  (rs., ag.)

(APA/dpa/Reuters)

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