Artikel 155 : Was der "Atomknopf" Spaniens Verfassung bedeutet

REUTERS/Susana Vera
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Seit dem Ende der Franco-Diktatur in den 1970er-Jahren wurde der Artikel nicht angewendet. Konkrete Maßnahmen zur Entmachtung sind darin nicht festgeschrieben.

Er gilt als der "Atomknopf" der spanischen Verfassung und war als maximale Abschreckung gedacht: Artikel 155 der Verfassung ermöglicht es, Regionen ihre Autonomierechte zu entziehen, was seit dem Ende der Franco-Diktatur in den 1970er-Jahren noch nie passiert ist. Nun will Madrid Ernst machen und erstmals seit Inkrafttreten der spanischen Verfassung Artikel 155 anwenden.

Die Regionalregierung von Katalonien soll entmachtet werden - als Reaktion auf die andauernden Unabhängigkeitsbestrebungen der autonomen Region im Nordosten Spaniens. Ziel der Zentralregierung in Madrid ist es nach eigenem Bekunden, die "verfassungsmäßige Ordnung" in Katalonien wieder herzustellen.

Artikel 155 kann angewendet werden, wenn eine autonome Region die ihr von der Verfassung oder anderen Gesetzen auferlegten Verpflichtungen nicht erfüllt "oder so handelt, dass ihr Verhalten einen schweren Verstoß gegen die allgemeinen Interessen Spaniens darstellt". Die Zentralregierung kann dann die "erforderlichen Maßnahmen" zum Schutz der Allgemeinheit ergreifen.

Parlament unter Vormundschaft gestellt

In der Verfassung ist jedoch nicht konkret festgelegt, wie eine Region wieder zur Räson gebracht werden soll. Über einzelne Maßnahmen entscheidet der spanische Senat auf Vorschlag der Zentralregierung. Das Ziel von Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy ist vor allem die Entmachtung der katalanischen Regionalregierung. Er fordert die Absetzung von Regionalpräsident Carles Puigdemont und seinen Regierungsmitgliedern.

Das katalanische Parlament soll zudem unter Vormundschaft Madrids gestellt und binnen sechs Monaten sollen Neuwahlen angesetzt werden. Auch die Regionalpolizei Mossos d'Esquadra, die Verwaltung sowie die öffentlich-rechtlichen Medien sollen der Zentralregierung unterstellt werden.

Die Oberhoheit über die Finanzen Kataloniens hatte Madrid bereits im September übernommen - in einem gescheiterten Versuch, das umstrittene Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober zu verhindern.

Nach einer Entmachtung der Regionalregierung übernehmen "zu diesem Zweck geschaffene Organe der Nationalregierung" die Kontrolle, im Prinzip sind dies die nationalen Ministerien. Die Kontrolle durch Madrid soll so lange erfolgen, "wie diese außergewöhnliche Situation dauert". Die Maßnahmen könnten bereits ab Samstag zur Anwendung kommen.

(APA/AFP)

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