Ägypten: Wie Sisi im Wahlkampf die Wüste neu erfindet

Deutlich mehr Wahlplakate des Amtsinhabers al-Sisi hängen in Ägypten. Seinen Gegenkandidaten kennt kaum jemand.
Deutlich mehr Wahlplakate des Amtsinhabers al-Sisi hängen in Ägypten. Seinen Gegenkandidaten kennt kaum jemand.REUTERS
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Der ägyptische Präsident lässt sich Ende März im Amt bestätigen, denn einen ernsthaften Gegenkandidaten gibt es nicht. Dafür will Abdel Fatah al-Sisi quer durch das Land ein Megaprojekt nach dem anderen realisieren.

Der Wind hat den Präsidenten auf den Kopf gestellt. Zwischen zwei Palmen am Rand einer viel befahrenen Straße wirbt ein Transparent für die Wiederwahl Abdel Fatah al-Sisis, aber das Plakat mit dem Konterfei des ägyptischen Staatsoberhauptes wurde einmal herumgewirbelt, und so kann Sisi den Wahnsinnsverkehr seiner Hauptstadt auch einmal von unten betrachten. Über Kairo hängt wieder einmal der ockerfarbene Wüstendunst, und abgesehen von den gelegentlich auftauchenden Plakaten weist nichts auf die Präsidentenwahl vom 26. bis 28. März hin.

Denn den Sieg hat Sisi in der Tasche. Ein Gegenkandidat nach dem anderen wurde entweder „überzeugt“, aus dem Ring zu steigen, oder gab mysteriöserweise von sich aus auf. Mousa Mustafa Mousa von der liberaldemokratischen Ghad-Partei ist derzeit der einzige Herausforderer Sisis, dessen Wahlwerbung zwar vereinzelt über Kairos Straßen hängt, der aber schon darauf hingewiesen hat, in jedem Fall Sisi unterstützen zu wollen. Seit 2014 herrscht der ehemalige General, der den gewählten Muslimbruder Mohammed Mursi gestürzt hat, mit eiserner Hand über das knapp 100-Millionen-Einwohner-Land, und er ist fest entschlossen, dies auch weiterhin zu tun.

Entlastung für Kairo. Es passiert nicht nichts in Ägypten, so viel steht jedenfalls fest. Quer durch das Wüstenland stampft die Regierung milliardenschwere Megaprojekte aus dem Boden, sie sollen gleichsam die hohe Arbeitslosigkeit dämmen, Wirtschaft und Tourismus ankurbeln, und, im Falle Kairos, das Bevölkerungsproblem lösen, denn die brodelnde Stadt platzt aus allen Nähten. Bis 2050 könnte die Einwohnerzahl von 18 Millionen auf 40 steigen.

Nun bekommt Kairo eine Zwillingshauptstadt, sie trägt den klingenden Namen „The Capital“ und liegt etwa 50 Kilometer südöstlich der alten Stadt. Die Ausmaße sind gigantisch: Auf 700 km? soll neues Stadtleben entstehen und permanent rund 1,8 Millionen Jobs sichern, die gesamte Regierung soll hierher übersiedeln, so auch die Botschaften und sieben Unis. Am Ende sollen hier fünf, vielleicht sogar acht Millionen Menschen leben. Die bereits geplanten Stadtteile sehen auf der Homepage aus wie eine Mischung aus Dubai und der Seestadt Aspern in Wien.

„Es war eine Notwendigkeit“, sagt Fouad Mansour mit Blick auf The Capital, „wir werden dort auch ein Büro eröffnen“. Mansour ist Chefredakteur der französischsprachigen Ausgabe von „al-Ahram“, die zu den traditionsreichsten Publikationen im arabischen Raum gehört. In den Gängen des Verlagshauses hängen Bilder vom arabischen Frühling sowie von den Protesten gegen Mursi, immer wieder Luftaufnahmen der Menschenmengen am Tahrir-Platz. Die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen sei Sisis Priorität, sagt Mansour. Die Projekte der Regierung verfolgt die Redaktion ganz genau und wohlwollend, denn – und das hört man oft in Kairo – allen liege die kurze, aber ruinöse Mursi-Zeit in den Knochen.

Ali Hassan, Chefredakteur der Nachrichtenagentur Mena, die sich wie „al-Ahram“ im Staatsbesitz befindet, formuliert es so: „Vor wenigen Jahren hatten wir Strommangel, jetzt sind wir in der Lage, Strom zu exportieren.“ Sisi stehe gegen Terrorismus, er wahre die Einheit des Landes, erhöhe den Lebensstandard, wolle das desolate Bildungssystem reformieren. Dieses Bild erreicht über regierungsfreundliche Medien Millionen Ägypter, einerseits, weil sie den Markt dominieren, andererseits, weil viele Einwohner unter der Mursi-Ära gelitten haben: kein Strom, kaputte Spitäler, abziehende Investoren, brach liegende Tourismuszentren, Debatten im Parlament über die Legitimierung der Ehe mit neunjährigen Mädchen. „Unter Mursi“, sagt Hassan, „war ein Verwandter von ihm hier Chefredakteur. Alle Journalisten haben 2013 gegen ihn demonstriert.“

Die Regierung Sisis will auch das Außenbild Ägyptens zurechtrücken, man fühlt sich missverstanden von der Auslandspresse, reduziert auf den Tahrir-Platz, auf das wirtschaftliche Chaos nach der Revolution, auf die Terroranschläge auf koptische Kirchen. Dabei, sagt Bischof Daniel, habe Sisi starke Verbindungen zur Kirche, besuche an Weihnachten den Gottesdienst, während unter Mursi ein plündernder Mob die Kathedrale gestürmt hat und gerade noch aufgehalten werden konnte.

Eine Kathedrale als Geschenk. Bischof Daniel ist Stellvertreter des Koptenpapstes Tawadros II. In seinem holzvertäfelten Empfangsraum hängen Heiligenbilder und Aufnahmen des Papstes mit hohen Persönlichkeiten. Wenige Schritte von hier befindet sich die Kirche St. Peter und Paul, wo im Dezember 2016 ein Sprengsatz explodierte, 28 Menschen, zumeist Frauen, wurden getötet. Sie trugen Namen wie Nadia, Marcelle, Nevine, ihre Porträtfotos hängen im Innenhof der Kirche, an einer Wand sind noch Blutspritzer zu sehen. Der sogenannte Islamische Staat bekannte sich zum Attentat.

Eine Wahlempfehlung gebe die Kirche nicht ab, versichert Bischof Daniel. Aber vor der Revolution sei genau ein Kopte im Parlament gesessen, heute seien es 35. Sisi sei die Sicherheit der Gotteshäuser wichtig. So ist der Platz rund um die Kirche St. Peter und Paul samt der bauchigen Markuskathedrale heute weiträumig abgeriegelt. Derzeit wird die Kathedrale renoviert, zudem entsteht in der neuen Hauptstadt ein neues Gotteshaus. Es ist ein Geschenk al-Sisis an die koptische Kirche.

Die Terroranschläge haben das Image Ägyptens als Urlaubsdestination schwer beschädigt, obwohl Tourismusregionen wie Sharm el-Sheikh gar nicht betroffen waren, wie Rania al-Mashat betont. Sie sitzt in ihrem Büro, das demnächst ein „Facelift“ erhalten soll, wie sie sagt, neue Möbel und Umgestaltung; ein „Facelift“ will sie auch in ihrem Ministerium durchsetzen. Erst im Jänner hat al-Sisi Mashat zur Tourismusministerin ernannt. Sie hat Erfahrung auf dem Weltparkett, war beim Internationalen Währungsfonds und im Bankensektor tätig, nun hat sie hehre Ziele für Urlaubsgäste: Ungenützte Thermalquellen sollen freigelegt, Naturabenteuer angeboten werden, wie zum Beispiel Vogelbeobachtung. Künftig soll man durch die Wüste trekken und im Ökohotel übernachten können. Und: Das Ministerium will mehr Chinesen und Osteuropäer ins Land bringen. Die Botschaft lautet: Ägypten ist mehr als Tutanchamun. Obwohl: Die Platte rund um die Pyramiden wird renoviert. Die Eröffnung ist, gemeinsam mit dem Großen Ägyptischen Museum, noch für dieses Jahr geplant.
Wie neben der Hauptstadt entsteht an der Nordküste des Landes, westlich von Alexandria, ebenfalls eine neue Metropolregion: El-Alamein. Die berühmte Schlacht von 1942, bei der britische und Commonwealth-Truppen endgültig den deutsch-italienischen Angriff aus Libyen in Richtung des Nils und der nahöstlichen Ölfelder stoppten, haben das Städtchen mit wenigen Tausend Einwohnern bekannt gemacht. Bald sollen dort eine Millionen Menschen leben. Das Wasser im Norden sei so klar wie in der Karibik, schwärmt man in Kairo, dabei lebe diese schöne Küste nur zwei Monate im Sommer auf. Mit El-Alamein und weiteren Hotel- und Wohnprojekten soll diese Gegend revitalisiert werden, das heißt: Zu den 200.000 Hotelzimmern im ganzen Land kommen weitere 25.000 hinzu, rechnet Mashat vor.

Der Einbruch des Tourismus hat das Land hart getroffen, der Sektor macht zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Von 15 Millionen Besuchern vor dem Arabischen Frühling sank die Zahl auf etwa fünf, nur langsam erholt sich die Sparte. 2017 waren es schon 8,4 Millionen Gäste, heißt es aus dem ägyptischen Parlament. Heuer besuchten allein bis April vier Millionen Touristen das Land. „Es sieht viel besser aus“, sagt Mashat, „aber ich will einen neuen Rekord.“

Saudis am Sinai. Geschäftigkeit will man an der vernachlässigten Sinai-Küste ebenfalls demonstrieren, hier helfen die Saudis aus. Anfang der Woche besuchte Kronprinz Mohammed Kairo und sorgte mit Verkehrsumleitungen für noch mehr Chaos auf den Straßen, aber sein Gepäck war ordentlich gefüllt. Im südlichen Sinai will Riad eine Megastadt finanzieren, samt eigener Justiz für die Investoren. Es soll ein Industriezentrum werden, Energie, Biotech, Güterproduktion, das alles auf 1000 Quadratkilometern. Die Saudis investieren nicht nur auf der Halbinsel, sondern im ganzen Land. Allein kann Ägypten den Neustart nicht stemmen.

Sehnsüchtig wartet Kairo auf weitere Investoren. Die Amerikaner sind mit 70 Milliarden Dollar dabei, die Briten betreiben traditionell auch viele Geschäfte hier. Die Beziehungen zu China, Indien und Japan will Ägypten intensiviert wissen, auch wird Italien im Energiesektor zu einem wichtigen Player. Der Konzern Eni beutet seit Kurzem das riesige Gasfeld Zohr an der Nordküste aus, gemeinsam mit Zypern und Israel träumt Kairo von Pipelines, die nach Europa führen und die eigene Staatskasse auffüllen.

Nun, kommen all diese ambitionierten Projekte auch „unten“ an? Auf dem viel geplagten Tahrir-Platz ziehen die Einwohner die Schultern hoch, wenn sie nach der Präsidentenwahl befragt werden. Eine „Es ist, wie es ist“-Mentalität scheint vorzuherrschen: Es ist nicht gut, es war aber schon schlechter. Und den Namen Mousa Mustafa Mousa kennt kaum jemand.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.03.2018)

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