Britischer Star-Reporter: "Keine Belege für Gasangriff in Douma"

Szene aus Douma
Szene aus DoumaAPA/AFP/STRINGER
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Der renommierte Nahost-Kenner Robert Fisk schreibt im "Independent", dass die in Videos gezeigten angeblichen Chlorgasopfer von Douma offenbar an Atemnot wegen massiver Staubentwicklung gelitten hätten. Das löste eine Kontroverse aus.

Ein Korrespondent der angesehenen britischen Zeitung "The Independent" stellt nach einer Besichtigung vor Ort und Zeugenbefragungen westliche Behauptungen infrage, wonach es in der ehemaligen islamistischen Rebellenhochburg Douma nahe Damaskus in Syrien vor wenigen Wochen einen Giftgasangriff gegeben habe. Der langjährige Nahost-Kenner Robert Fisk (71), der seit Jahrzehnten im Libanon lebt und vielfach ausgezeichnet wurde, fand nach eigenen Angaben keine Belege dafür. Vielmehr scheine es sich bei den mutmaßlichen Opfern um Menschen gehandelt zu haben, die durch im Zuge der Kämpfe und Bombardements aufgewirbelten intensiven Staub in engen Räumen an massiver Luftknappheit litten.

Ein vor allem im Westen verbreitetes Video, das zeigen soll, wie Menschen durch Abspritzen mit Wasser von angeblichem Gift gereinigt wurden, sei zwar echt. Doch seien diese Personen womöglich nicht von Chlorgas oder dem ungleich tödlicheren Nervengift Sarin gereinigt worden, sondern schlicht und einfach von Staub, so Fisk im Independent.

Der Brite berief sich dabei unter anderem auf den Arzt Dr. Assim Rahaibani. Dieser sagte den Angaben zufolge, die Menschen hätten nicht unter Giftgas gelitten, sondern unter Sauerstoffmangel in den mit Müll gefüllten stickigen Tunnels und Kellern, in denen sie lebten. In einer Nacht mit starkem Wind und heftigem Artilleriebeschuss sei letztlich ein Staubsturm erzeugt worden, der bis in diese Zufluchtsorte gewirkt habe.

"Islamistenkämpfer unterjochten Bewohner"

Der erwähnte 58-jährige Arzt habe keine Scheu gehabt, seinen Namen zu nennen, während sich die meisten westlichen Medien stets auf "ungenannte Ärzte" und klar der Opposition zuneigende Quellen beriefen, fügte Fisk hinzu. Ferner beschrieben Einwohner Doumas, dass sie in Wahrheit nichts mit den Islamistenrebellen zu tun gehabt oder sich vor den Regierungstruppen versteckt hätten.

Die "Rebellen" hätten in Douma vielmehr ein Terrorregime errichtet und sich Bunkeranlagen von der Bevölkerung in Sklavenarbeit bauen lassen. Von den von Fisk befragten Bewohnern berichtete einer, ein Cousin von ihm sei von Mitgliedern der Rebellengruppe "Jaish al-Islam" (Armee des Islam) hingerichtet worden.

Laut Fisk kamen während der Luftangriffe "Weißhelm"-Leute, das sind Mitglieder einer nichtstaatlichen Zivilschutzorganisation, in einen der verstaubten Bunker, versetzten die dort hustend ausharrenden Zivilisten mit lauten Rufen "Gas! Gas!" in Panik und begannen mit Wasser imaginäres Gas aus ihren Augen zu waschen. Die Bilder davon gingen durch viele Medien und lieferten US-Präsident Donald Trump, der britischen Premierministerin Theresa May und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen Grund für die kürzlichen Angriffe mit Marschflugkörpern.

Fisks Geschichte hat teils heftige Kritik ausgelöst. So berichteten andere europäische Journalisten vor Ort, ihnen hätten viele Menschen überzeugend von Gifteinsätzen berichtet. Ein Schwede namens Stefan Borg will in einem Haus gewesen sein, wo angeblich Giftgas gewirkt und mehrere Menschen getötet habe; in dem Haus habe es "seltsam" gerochen, rasch habe er Halsschmerzen bekommen, so Borg. Andere Anrainer wiederum hätten gesagt, sie hätten von einem Giftangriff nichts mitbekommen, während wiederum andere behauptet hätten, die Islamisten hätten Gas freigesetzt.

Fisk wurde in den vergangenen Jahren mehrfach vorgeworfen, zu sehr mit der syrischen Armee zu kooperieren, in deren Rahmen er wiederholt "eingebettet" berichtet hatte, und tendenziös pro-Assad zu sein.

Zweifel an Lauterkeit der "Weißhelme"

Tatsächlich kamen aber nicht nur in russischen und Assad-lastigen Medien vermehrt Zweifel an gewissen Behauptungen der syrischen Opposition sowie der Lauterkeit der Weißhelme auf, wenngleich in diesem Krieg Aussagen aller Seiten mit extremer Vorsicht zu genießen sind und klar ein Informationskrieg geführt wird. So sollen mehrere Videos der Weißhelme über angebliche Giftgasopfer laut russischen Journalisten inszeniert worden sein - diese Behauptungen werden wiederum umgekehrt als Propaganda bezeichnet.

In einem anderen Beispiel sieht man angeblich einen von einem Hubschrauber abgeworfenen Chlorgasbehälter, der laut den Angaben eines Mannes in dem Film ein Hausdach durchschlug (man sieht das große Loch auch) und auf einem Bett landete - wo er freilich trotz seiner anzunehmenden Wucht beim Aufprall keinerlei weiteren Schaden anrichtete.

Aber wie gesagt: Es herrscht ein Propagandakrieg.

>>> Bericht im Independent

(APA)

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