Nervenschlacht in Union: Seehofer tritt vom Rücktritt zurück - vorläufig

Horst Seehofer am frühen Montagmorgen
Horst Seehofer am frühen Montagmorgen (c) APA/AFP/CHRISTOF STACHE (CHRISTOF STACHE)
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CSU-Chef und Inneminister Horst Seehofer legt sein Schicksal in die Hände der Kanzlerin. Heute findet im Asylstreit ein letztes Spitzengespräch mit der CDU statt. Gibt es wieder keine Einigung, will Seehofer gehen.

Kurz nach 2 Uhr früh in München: Horst Seehofer sagt, schon etwas blass von den stundenlangen internen Beratungen, die nächste Wende im Asylstreit in die Mikrofone. Er verschiebt seinen Stunden zuvor angebotenen Rücktritt als CSU-Chef und Innenminister. Es soll noch ein Treffen mit Angela Merkels CDU geben.

Die engere CSU-Parteiführung, so erzählt es Seehofer, habe ihn bedrängt, noch im Amt zu bleiben. Die Nervenschlacht geht damit in die Verlängerung. Heute, 17 Uhr, soll es in Berlin ein letztes Spitzengespräch im Asylstreit der Schwesterparteien geben. Ein letztes Krisentreffen. Ein letzter Einigungsversuch. Seehofer nennt das ein "Entgegenkommen" an die CDU. Man kann es auch als Versuch deuten, Merkel den schwarzen Peter zuzuschieben. Zumindest legt er sein Schicksal in ihre Hände. Die Kanzlerin muss jetzt entscheiden, ob sie Seehofer über die Klinge springen lassen will und damit das mögliche Ende der Union aus CDU und CSU und der Regierung riskiert - oder ob sie doch noch einlenkt im zentralen Streitpunkt, der Zurückweisung von bereits registrierten Asylwerbern an der Grenze.

Ohne eine Einigung werde er in den nächsten drei Tagen den Rücktritt als Parteichef und Innenminister vollziehen, sagte Seehofer.  Das Gespräch mit der CDU sei ein "Zwischenschritt", geführt "in der Hoffnung, dass wir uns verständigen", so der Innenminister. "Alles Weitere" werde anschließend entschieden.

"Wir wollen im Interesse dieses Landes und der Handlungsfähigkeit unserer Koalition und Regierung - die wir erhalten wollen - einen Einigungsversuch machen in dieser zentralen Frage zur Zurückweisung, alleine zu dieser Frage", betonte Seehofer. Er hoffe, dass dies gelinge.

Der Rückhalt in den Beratungen der CSU-Spitzengremien für Seehofer sei "außerordentlich stark gewesen", sagte CSU-Landesgruppenchef Dobrindt in der Nacht zu Montag.  Obwohl dieser bereits am Samstag erfolglos mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) über einen Kompromiss im Flüchtlingsstreit der Union verhandelt hatte, sieht Dobrindt nach wie vor Einigungschancen.

Die CDU-Führung zeigte sich für das Treffen um 17 Uhr offen. Der Parteivorstand hatte sich zuvor klar hinter Merkel gestellt. Eine Sitzung der Unionsfraktion, also von allen Abgeordneten von CDU und CSU im Deutschen Bundestag, war davor geplant, wurde aber abgesagt.

Kern des Unions-Streits sind Pläne Seehofers, in anderen EU-Ländern registrierte Asylbewerber notfalls im Alleingang an der deutschen Grenze zurückzuweisen. Merkel lehnt einseitige Aktionen ab und pocht auf ein europäisch abgestimmtes Vorgehen.

Seehofer hatte zuvor nach fast achtstündigen Beratungen vor seinen Parteikollegen gesagt, es gebe drei Optionen: Entweder die CSU beuge sich dem Kurs Merkels in der Asylpolitik. Oder er ordne als Innenminister Zurückweisungen bestimmter Migranten an der deutschen Grenze an - mit allen Gefahren für den Fortbestand der Koalition. Die dritte Option sei, dass er als Parteichef und Minister zurücktrete - und das habe er auch vor zu tun. Er werde am kommenden Mittwoch 69 Jahre alt, und habe viel erreicht. Seehofer ist erst seit rund 100 Tagen Minister in der neuen Großen Koalition in Deutschland, seit 2008 ist er CSU-Chef.

Kein "wirkungsgleiches Surrogant"

Beim Gipfel in Brüssel hatte sich die EU auf weitere Verschärfungen der Migrationspolitik verständigt. So sollen Bootsflüchtlinge in zentralen Sammellagern in der EU untergebracht werden. Merkel erhielt nach eigenen Angaben zudem Zusagen mehrerer Länder, über schnellere Rückführungen von Migranten zu verhandeln. Außerdem wurden am Samstag überraschend weitgehende zusätzliche Asyl-Vorschläge Merkels bekannt.

Seehofer nannte die EU-Beschlüsse kein "wirkungsgleiches Surrogat" (keinen gleichwertigen Ersatz). Er widersprach damit direkt Merkel. Die Kanzlerin hatte bei der Aufzeichnung eines Sommerinterviews der ZDF-Sendung "Berlin direkt" zur Frage, ob die Forderungen der CSU erfüllt seien, gesagt: "In der Summe all dessen, was wir insgesamt beschlossen haben, ist das wirkungsgleich. Das ist meine persönliche Auffassung. Die CSU muss das natürlich für sich entscheiden."

Einen davon lehnte Seehofer nach übereinstimmenden Angaben mehrerer Teilnehmer in der CSU-Sitzung ebenfalls ab. Merkel hatte angeregt, anderswo in der EU registrierte Flüchtlinge in den geplanten "Ankerzentren" in Deutschland unterzubringen. Sie sollen dort ein beschleunigtes Verfahren durchlaufen und sich nicht entfernen. Die Abkürzung steht für: Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung beziehungsweise Rückführung (AnKER).

SPD: "Selbstvergessener Streit"

Die SPD als dritter Koalitionspartner kritisierte den Unionskonflikt. "Dass da keine pragmatischen Kompromisse möglich wären, das versteht überhaupt niemand", sagte Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) in der ARD. Der "selbstvergessene" Streit sei "eigentlich nicht das, was man sich unter ordentlichem Regieren vorstellt."

In einem eigenen Papier, das der Vorstand an diesem Montag beschließen soll, wirbt die SPD für eine "gesamteuropäische Lösung", ein "europäisches Asylsystem und solidarisch geteilte Verantwortung bei der Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen". Alleingänge bei Zurückweisungen an der Grenze lehnt sie ebenfalls ab.

(APA/dpa/AFP)

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