Regierungskrise: Wie Italien mit „Technikern“ turbulente Zeiten überbrückt hat

Der ehemalige EU-Kommissar Mario Monti rettete als Premier Italien vor dem Bankrott.
Der ehemalige EU-Kommissar Mario Monti rettete als Premier Italien vor dem Bankrott. (c) Reuters (THOMAS PETER)
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Kein anderes EU-Land hat so viel Erfahrung mit parteilosen „Expertenregierungen“ wie Italien. Technokraten-Premiers haben in Krisenzeiten mit Notfallmaßnahmen oft als Feuerlöscher gedient. Allerdings sorgten solche Machtkonstellationen immer auch für heftige Kritik.

Wien. Vielleicht wird Österreichs Politik in den nächsten Monaten ein bisschen italienisch: Immerhin hat Italien wie kein anderes EU-Land Erfahrung mit kurzen Legislaturperioden, wackeligen Mehrheiten, abrupten Koalitionsbrüchen, Korruptionsaffären, Neuwahlen – und „Experten-Regierungen“ als Notlösungen. Kabinette aus „neutralen“ oder zumindest parteilosen „Technikern“ gehören ebenso wie Dauer-Regierungskrisen zum fixen Bestandteil der turbulenten italienischen Nachkriegsgeschichte.

67 Regierungen hatte Italien seit 1946, drei davon waren reine Expertenregierungen. An die Macht kamen sie immer in Krisenzeiten: Zuletzt war 2011, mitten in der Finanzkrise, eine „Techniker-Regierung“ im Amt: Im November 2011 wurde der angesehene Ökonom Mario Monti, der frühere EU-Wettbewerbskommissar, vom Staatspräsidenten Giorgio Napolitano zum Premier ernannt. Kurz davor musste Silvio Berlusconi als Regierungschef zurücktreten, nachdem die Staatsverschuldung des Eurokrisenlands neue Rekordwerte erreicht hatte.

Die exorbitanten Schulden der drittgrößten Euro-Volkswirtschaft hatten auf den Finanzmärkten Panikstimmung ausgelöst. Monti stellte eine „Notfallsregierung“ aus Professoren und anderen „Experten“ zusammen. Er entwickelte einen „Rettungsplan“ für Italien, der strenge Sparmaßnahmen vorsah. Italien wurde vom Bankrott gerettet. Unterstützt wurde das Kabinett Monti von einer breiten parlamentarischen Mehrheit, der auch die Linksdemokraten und Silvio Berlusconis Partei „Volk der Freiheit“ angehörten.

Montis Regierung blieb 529 Tage im Amt. Im Februar 2013 fanden Parlamentswahlen statt, nachdem im Dezember 2012 Monti zurücktreten musste: Berlusconis Partei hatte ihm das Vertrauen entzogen. Montis Regierung ist heute noch – nicht nur bei Populisten – beliebtes Feindbild. Sie gilt als Inbegriff der verhassten, EU-treuen „elitären Kaste“ und wird für schmerzvolle Einsparungen verantwortlich gemacht.

„Integer und kompetent“

Vor Monti haben immerhin 16 Jahre lang keine „Techniker“ Italien regiert. 1995 hatte Ex-Notenbankchef Lamberto Dini das Amt des Regierungschefs übernommen, nachdem Silvio Berlusconis allererste Regierung nach wenigen Monaten im Amt gescheitert war. Der damalige Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro machte auch Susanna Agnelli, die beliebte Schwester von Fiat-Chef Giovanni Agnelli, zur Ministerin. Im Amt war Dini 486 Tage. Ihm folgte nach den Parlamentswahlen 1996 Romano Prodi.

Die erste Regierung aus Nicht-Politikern bekam Italiens Nachkriegsrepublik im heißen Jahr 1993: Erst 1992 war aufgrund von Korruptionsermittlungen der „Mani-Pulite“-Richter das gesamte Parteiensystem der ersten Republik zusammengestürzt, Christdemokraten und Sozialisten existierten nicht mehr. Auch damals übernahm ein früherer Notenbankchef die Führung der Regierungsgeschäfte: der Ökonom Carlo Azeglio Ciampi. Er regierte 377 Tage – und machte den Weg frei für die Wahlen, die einen der reichsten Männer des Landes an die Macht brachten: den Unternehmer Berlusconi.

Italiens Politik, bekannt für ihre Kreativität, kennt allerdings auch „Mischformen“ der Expertenregierungen, in denen auch Politiker amtierten. Nach einer Regierungskrise 1987 etwa machte Staatschef Francesco Cossiga den Christdemokraten Amintore Fanfani zum Premier. In Fanfanis Regierung saßen Experten und Politiker.

Die Nominierung von Experten-Regierungen ist in Italien fast immer auch von Protesten begleitet: Kritiker sehen darin einen Machtmissbrauch, einen Verrat an die repräsentative Demokratie. Tatsächlich muss der „kompetente“ Fachmann die Aufgabe des – nicht mehr – vertrauenswürdigen Politikers übernehmen. „Integer“ und „fachkompetent“ sind Eigenschaften, die bei solchen Nominierungen immer wieder hervorgehoben werden. Übrigens: Viele italienische „Experten“ fanden Gefallen am Regieren und gründeten später auch eigene Parteien. Darunter auch Monti und Dini. Vom Wähler wurden beide allerdings abgestraft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2019)

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