Die britischen Tories entscheiden in einem Abstimmungsmarathon über ihren neuen Parteichef. Auch nach der der vierten Auswahlrunde gilt Boris Johnson als der klare Favorit. Heute Abend soll sein Herausforderer für die Stichwahl feststehen.
Im Rennen um die Nachfolge der britischen Premierministerin Theresa May hat Boris Johnson seinen Vorsprung ausgebaut. Auf den Ex-Außenminister Johnson entfielen beim jüngsten Wahlgang der Tory-Abgeordneten am Donnerstagmittag 157 von 311 Stimmen. Innenminister Sajid Javid schied aus, nachdem er unter den drei übrigen Bewerbern mit 34 Stimmen am schlechtesten abgeschnitten hatte.
Für Donnerstagabend ist noch ein weiterer Wahlgang der konservativen Abgeordneten angesetzt. Das Ergebnis der fünften Runde wird um 19.00 Uhr erwartet. Dabei soll sich entscheiden, wer von den beiden verbliebenen Mitbewerbern in die Endrunde geht. Überraschend zog Umweltminister Michael Gove (mit 61 Stimmen) am Donnerstag an Außenminister Jeremy Hunt (59 Stimmen) vorbei. Einer von beiden sollte am Abend als Johnson-Herausforderer feststehen. Wer Ende Juli zum Parteichef und damit Premierminister gekürt wird, sollen dann die rund 160.000 konservativen Parteimitglieder entscheiden.
Als Sohn eines pakistanischstämmigen Busfahrers verkörpert Javid den Traum vom sozialen Aufstieg in einer weiterhin stark durch Klassendenken geprägten Gesellschaft. Erfahrungen in der Finanzwelt sammelte er in der Managementebene der Deutschen Bank. Er dürfte sich nun Hoffnungen auf ein hohes Amt in der künftigen Regierung machen, etwa auf den Posten des Finanzministers.
Johnson klarer Favorit
Umfragen zufolge ist Johnson an der Basis unangefochtener Spitzenreiter. Ihm wird zugetraut, Brexit-Wähler, die sich von den Konservativen abgewendet haben, wieder zurückzugewinnen. Johnson war einer der Wortführer für den EU-Austritt vor der Volksabstimmung vor drei Jahren. Die Briten hatten sich am 23. Juni 2016 mit knapper Mehrheit für die Trennung von der EU ausgesprochen. Auch Gove gehörte zu den Gesichtern der Brexit-Kampagne. Hunt hatte sich damals für einen Verbleib in der Staatengemeinschaft eingesetzt, änderte seine Meinung aber später.
Brüssel: Keine Brexit-Verschiebung für Neuverhandlungen
Doch der Austritt musste zwei Mal verschoben werden, weil sich im Parlament keine Mehrheit für das von Premierministerin Theresa May mit Brüssel ausgehandelte Brexit-Abkommen fand. Die Frist für die Loslösung von der EU wurde inzwischen bis 31. Oktober verlängert. Dass der Brexit noch einmal verschoben wird, haben die Ministerpräsidenten Irlands und Luxemburg am Donnerstag beim EU-Gifpel in Brüssel ausgeschlossen. Es gebe in den EU-Regierungen eine "enorme Gegnerschaft" gegen eine erneute Verschiebung des Austrittsdatums Ende Oktober, sagte der irische Premier Leo Varadkar am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel.
Vorstellbar sei dies höchstens im Falle von Neuwahlen oder eines zweiten Brexit-Referendums in Großbritannien. "Was es nicht geben wird, ist eine Verschiebung für weitere Verhandlungen." Wenn Boris Johnson der nächste britische Ministerpräsident werden sollte, müsse er das von Theresa May ausgehandelte Abkommen mit der EU übernehmen, sagte Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel.
Warnung vor hartem Brexit
Finanzminister Philip Hammond warnte die verbliebenen Kandidaten eindringlich vor einem Brexit ohne Abkommen. Ein ungeregelter EU-Austritt würde die Wirtschaft schädigen, Milliarden Pfund Steuergelder kosten und könnte ein Auseinanderbrechen des Vereinigten Königreichs auslösen, sagte Hammond laut einem im Voraus verbreiteten Redetext am Donnerstag in London.
Dies könnte auch dem Labour-Oppositionschef Jeremy Corbyn bei Wahlen den Weg in die Downing Street ebnen, warnte der EU-freundliche Hammond. Die Kandidaten für Mays Nachfolge als Tory-Chef und damit auch als Premierminister müssten daher einen "Plan B" vorlegen.
Johnson hatte angekündigt, den Brexit-Deal nachverhandeln zu wollen - Brüssel hat das aber kategorisch ausgeschlossen. Er hatte auch gedroht, die vereinbarte Schlussrechnung für den EU-Ausstieg in Höhe von 39 Milliarden Pfund (43,81 Mrd. Euro) nicht zu bezahlen. Bei der Schlussrechnung handelt es sich unter anderem um langfristige Lasten wie Pensionszahlungen für EU-Beamte. Auch eine erhebliche Senkung der Einkommenssteuer für gut verdienende Briten stellte Johnson im Falle seiner Wahl in Aussicht.
(APA/dpa)