Demonstranten besetzen Hongkonger Parlament

Demonstranten stürmten das Gebäude des Legislativrats.
Demonstranten stürmten das Gebäude des Legislativrats.APA/AFP/VIVEK PRAKASH
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Eine Gruppe Peking-kritischer Demonstranten bahnte sich den Weg in den Legislativrat. Die Polizei setzte Tränengas ein und kündigte an, das Parlament zu räumen - mit „angemessener Härte“.

Am 22. Jahrestag der Übergabe Hongkongs an China sind Proteste von Peking-Kritikern in der chinesischen Sonderverwaltungszone eskaliert. Demonstranten stürmten am Montag das Parlament: Mit einem Rollwagen aus Metall, Stöcken und Gerüstteilen zertrümmerte eine Gruppe - hauptsächlich Studenten - zuerst das Glas des sogenannten Legislativrats. Wenig später begannen die Protestierenden an einer anderen Stelle des Gebäudes, große Metallpaneele zu demontieren. Schließlich gab es Videos von Demonstranten die im Gebäude randalierten.

Wie die Hongkonger Zeitung "South China Morning Post" berichtete, zog sich die Polizei aus dem Gebäude zurück. Zuvor hatten sie über Stunden versucht, die Demonstranten vor dem Eindringen abzuhalten. Die Beamten sprühten von oben Pfefferspray auf die Demonstranten, die sich mit Regenschirmen dagegen schützten. Einige Abgeordnete hatten ebenfalls versucht einzuschreiten und die Demonstranten von einer Erstürmung des Gebäudes abzuhalten.

Die Polizei kündigte am späten Montagabend Ortzszeit an, das Regierungsgebäude räumen zu wollen. Sollten die Demonstranten das Gelände nicht verlassen, würden die Einsatzkräfte mit "angemessener Härte" vorgehen.

Lam übt sich in Schadenbegrenzung

Tausende hatten sich am Nachmittag anlässlich des Jahrestags bei Temperaturen von über 30 Grad für die jährliche Protestaktion im zentralen Victoria Park versammelt. "In den vergangenen Jahren sind wir aktiver geworden, weil wir gemerkt haben, dass der friedliche Weg nicht funktioniert", sagte ein 24-Jähriger Demonstrant.

Seit Wochen protestieren Millionen Menschen in Hongkong gegen ein Gesetzesvorhaben, das Auslieferungen auch von Ausländern an China ermöglichen soll. Dabei war es immer wieder zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei gekommen.

Bei den Feierlichkeiten am Jahrestag trat auch Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam zum ersten Mal seit gut zwei Wochen wieder öffentlich auf. Sie wirkte müde. Anders als sonst üblich verfolgten sie und die geladenen Gäste die traditionelle Fahnenzeremonie zum Jahrestag nicht im Freien, sondern auf einem Bildschirm in einem nahe gelegenen Kongresszentrum, was offiziell mit schlechtem Wetter begründet wurde.

Die Demonstranten werfen Lam eine zu große Nähe zu China vor. Ihr Versuch, auf die Demonstranten zuzugehen, indem sie das Vorhaben bis auf weiteres aufschob, aber nicht kippte, half nicht. China sicherte Lam die Unterstützung zu. Lam versprach am Montag, mehr für junge Leute zu tun und den Regierungsstil zu ändern.

Furcht vor Chinas Justizsystem

Die Bevölkerung der früheren britischen Kronkolonie Hongkong genießt seit der Übergabe an China im Jahr 1997 unter dem Motto "ein Land, zwei Systeme" Freiheiten wie zum Beispiel die der Meinungsäußerungen, die sonst in der Volksrepublik tabu sind. Diese sehen die Demonstranten gefährdet.

Die Gegner der umstrittenen Gesetzesänderung befürchten dem Justizsystem Chinas ausgesetzt zu werden. Menschenrechtler werfen China mutmaßlich Folter, willkürliche Inhaftierungen, Zwangsgeständnisse sowie einen fehlenden Zugang zu Anwälten vor. Auch im Ausland war das inzwischen auf Eis gelegte Auslieferungsgesetz auf Kritik gestoßen. Finanzberatern, Bankern und Anwälten zufolge ziehen Hongkongs Magnaten bereits ihre privaten Vermögen ab.

Eigentlich stehen den Hongkongern laut Rückgabevertrag bis 2047 mehr Freiheiten zu als den Chinesen in der Volksrepublik. Doch immer mehr Hongkonger fühlen, dass Peking schon jetzt ihre Rechte beschneidet. Die Volksrepublik China bestreitet eine Einflussnahme.

Schon zuvor hatten Beobachter damit gerechnet, dass die üblichen Proteste am Jahrestag wegen der ohnehin aufgeheizten Stimmung in diesem Jahr besonders groß ausfallen dürften. Um nicht in die Nähe der Ausschreitungen am Regierungsviertel zu geraten, kündigten die Organisatoren des großen Protestmarsches kurzfristig an, die Route zu ändern.

(APA/Reuters)

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