Europaparlament: Von Deals, Streits und Pleiten

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Die Schulz-Nachfolge artet in ein politisches Machtspiel aus. Die Europäische Volkspartei beharrt auf einer Vereinbarung mit den Sozialdemokraten, wonach sie jetzt am Zug ist.

Brüssel/Wien. Die Ingredienzen entsprechen einem klassischen politischen Machtkampf: Geheime Absprachen, gebrochene Zusagen, taktische Manöver und die Entlarvung allzu schlichter Strategien. Die Bestellung des nächsten Präsidenten des Europaparlaments ist eine Woche vor der Entscheidung in einen offenen Konflikt ausgeartet.

Ausgelöst hat ihn der Vorsitzende der größten Fraktion im Parlament, der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber. Er veröffentlichte am Dienstag den bisher geheim gehaltenen Deal mit den Sozialdemokraten aus dem Jahr 2014. Zwar kursierten Gerüchte zu dieser Abmachung, nun steht aber fest, dass sich der bisherige sozialdemokratische Parlamentspräsident, Martin Schulz, die Unterstützung der EVP mit der Zusage erkauft hat, dass ab der Halbzeit der Legislaturperiode ein Christdemokrat sein Nachfolger wird.

Doch Schulz ist mittlerweile in die deutsche Innenpolitik gewechselt, und der Rest seiner Fraktion fühlt sich nicht an den Deal gebunden. „Wir haben das nie gesehen, haben nie darüber abgestimmt“, versichert Evelyn Regner, die Delegationsleiterin der SPÖ im EU-Parlament. Ihr Fraktionschef, Gianni Pittella, möchte nun selbst Parlamentspräsident werden und denkt nicht daran, den EVP-Kandidaten Antonio Tajani zu unterstützen. EVP-Fraktionschef Weber sieht sich hinters Licht geführt und erinnert daran, dass sich die großen politischen Gruppen über Jahre bei der Postenvergabe unterstützt haben: „Wer jetzt mit einer guten Tradition bricht, und dessen Unterschrift nichts mehr wert ist, der erschüttert die Stabilität des Parlaments.“

Tajani braucht EU-Skeptiker

Dass die EVP den ehemaligen Berlusconi-Intimus Tajani nominiert hat, erleichtert ihr die Mehrheitsfindung nicht. Der Mitbegründer der rechtspopulistischen Forza Italia ist für linke und liberale Abgeordnete unwählbar. Sie hätten weit eher die letztlich glücklose EVP-Kandidatin Mairead McGuinness als erste Frau auf diesem Posten unterstützt. Tajani muss deshalb auf die Hilfe der EU-Skeptiker vom rechten Rand und vor allem auf die konservativen britischen Abgeordneten hoffen, die allerdings kaum noch Lust haben, sich vor dem Brexit noch auf politische Deals einzulassen. Pittella hingegen hat nicht einmal die Grünen und das linke Lager gänzlich hinter sich.

Deshalb hätte eigentlich der liberale Verhofstadt als Kompromisskandidat gute Chancen. Er ist ein erfahrener Abgeordneter und klarer Proeuropäer. Sollte sich eine der beiden großen Fraktionen letztlich eingestehen, dass sie ihren Kandidaten nicht durchbringt, könnte sie mit einer Unterstützung von Verhofstadt ihr Gesicht wahren. Seitdem sich der ehemalige belgische Ministerpräsident allerdings durch einen vorbereiteten Deal mit der politisch unberechenbaren EU-skeptischen Fünf-Sterne-Bewegung selbst ein Bein gestellt hat, sind seine Chancen geschrumpft. Verhofstadt hat versucht, Beppo Grillos 17 EU-Abgeordnete in die liberale Fraktion einzugliedern. Damit wären die Liberalen (Alde) die drittstärkste Gruppe im Europaparlament geworden. Doch am Montagabend stellte sich eine Mehrheit seiner Fraktionsführung gegen die letztlich nur auf Machtausweitung zielende Aktion.

Der EU-Parlamentspräsident wird am kommenden Dienstag in bis zu vier Wahlgängen gewählt. Im ersten Wahlgang brauchte er eine absolute Mehrheit. Kommt diese nicht zustande, können sich im zweiten und dritten Wahlgang neue Kandidaten bewerben. Im letzten Wahlgang fällt die Entscheidung zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten mit einfacher Mehrheit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2017)

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