"Sind auf dem Weg hinaus": May steuert auf harten Brexit zu

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Premierministerin Theresa May wird in Grundsatzrede Mitgliedschaft in Binnenmarkt und Zollunion infrage stellen.

London. Die britische Regierung bereitet die Bevölkerung auf einen völligen Bruch mit der EU vor. Nach übereinstimmenden Berichten der Sonntagspresse wird Premierministerin Theresa May morgen, Dienstag, in einer Grundsatzrede vor dem diplomatischen Corps in London die Mitgliedschaft des Landes im EU-Binnenmarkt und die weitere Teilnahme an der Zollunion zur Disposition stellen. „Wir sind auf unserem Weg hinaus“, soll es in dem Redetext heißen.

Erste Priorität in den Brexit-Verhandlungen würden die Kontrolle über die Zuwanderung und ein Ende der Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs haben, wird May betonen. Sollten diese Ziele anders nicht zu erreichen sein, werde man den Ausstieg aus Binnenmarkt und Zollunion in Kauf nehmen. „Die überwältigende Mehrheit der Bürger – egal, wie sie gewählt haben – sagt, dass wir weitermachen und den Brexit umsetzen sollen“, wird sie erklären.

Neues Wirtschaftsmodell

Obwohl die Berichte von einem Regierungssprecher gestern als Spekulation bezeichnet wurden, deutet auch eine Aussage von Schatzkanzler Philip Hammond darauf hin, dass sich Großbritannien auf einen völligen Abschied aus der EU vorbereitet: „Wir könnten uns gezwungen sehen, unser Wirtschaftsmodell zu ändern“, sagte er der „Welt am Sonntag“. Hammond, der in der britischen Regierung als Stimme der Besonnenheit gilt, stellte der EU wenig verhüllt die Rute eines Steuerwettbewerbs ins Fenster. Er hoffe, Großbritannien werde eine Volkswirtschaft mit einem Steuer- und Regelwerk nach europäischem Muster bleiben. Aber: „Wenn wir gezwungen werden, etwas anderes zu sein, werden wir etwas anderes werden müssen.“

Der Vorrang der Kontrolle über die Einwanderung über alle anderen Erwägungen lässt für die Brexit-Verhandlungen, die bis Ende März beginnen sollen, wenig Spielraum. Die verbleibenden EU-27 haben klargemacht, dass Großbritannien wie alle anderen Teilnehmer am Binnenmarkt für einen Verbleib in der Handelszone auch alle vier Grundfreiheiten akzeptieren müsse. EU-Verhandlungsführer Michel Barnier deutete in der Vorwoche hinter verschlossenen Türen aber erstmals eine Abschwächung der Position gegenüber dem Finanzzentrum London an: „Wir brauchen eine Regelung, die finanzielle Instabilität vermeidet“, sagte er nach einem geheimen Gesprächsprotokoll gegenüber Europaabgeordneten.

Wer hat mehr zu verlieren?

Auch der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, warnte zuletzt, dass die EU auf dem Finanzsektor von dem Ausscheiden Großbritanniens „mehr zu fürchten“ habe als die Briten. Die City of London genießt eine dominante Stellung als Investmentbank Europas. Besonders wirtschaftlich schwache EU-Staaten könnten für Änderungen einen hohen Preis zahlen müssen.

Brexit-Minister David Davis erklärte gestern, die britische Regierung wolle eine „starke neue Partnerschaft“ mit der EU und sprach sich für „Übergangsperioden“ aus. Klar ist aber, dass Premierministerin May sich entschieden hat, politischen Erwägungen Vorrang vor wirtschaftlichen Konsequenzen zu geben. Nachdem schon ihre früheren Brexit-Aussagen zu starken Kursverlusten des Pfund geführt haben, wird in dieser Woche mit einem weiteren Einbrechen der Währung gerechnet. Von einer „Kurskorrektur“ sprach man gestern bereits in Regierungskreisen. Neben der inhaltlichen Klarstellung des in Konturen bereits erkennbaren Kurses sollte in London in den nächsten Tagen auch der weitere Ablauf in Richtung Brexit klar werden. Schon in dieser Woche wird das Urteil des Supreme Court über eine Mitsprache des Parlaments vor Beginn der Austrittsverhandlungen durch Anrufung von Artikel 50 erwartet. Selbst die Regierung rechnet mit einer Niederlage und hat für diesen Fall bereits einen Gesetzesentwurf vorbereitet, der ihr die Autorisierung durch das Unterhaus geben soll.

Eine Mehrheit dafür ist sicher. Allerdings wollen die Parlamentarier bis Mitte Februar einen detaillierten Brexit-Plan sehen, ehe May den Startschuss für den EU-Austritt gibt. Zudem wollen die Abgeordneten auch über das Ergebnis der für zwei Jahre anberaumten Verhandlungen abstimmen dürfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.01.2017)

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