May hat Mehrheit für den Austritt hinter sich

Theresa May
Theresa MayReuters
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Da das britische Unterhaus die Regierungspläne zum Brexit nicht stoppen konnte, rücken die Inhalte der Verhandlungen mit Brüssel in den Mittelpunkt der innenpolitischen Diskussion.

London. Das britische Unterhaus hat mit überwältigender Mehrheit für den Gesetzesantrag der Regierung für Einleitung des Brexit gestimmt. Mit 498 zu 114 Stimmen fiel die Entscheidung Mittwochabend wesentlich deutlicher aus, als selbst Optimisten in der Regierung gehofft hatten. Zuvor war ein Änderungsantrag der schottischen Nationalisten gescheitert. Obwohl das Gesetz noch in Ausschussberatung und zur Abstimmung ins Oberhaus geht, hat Premierministerin Theresa May damit einen wichtigen Sieg errungen.
Die Zustimmung bedeutet, dass die Regierung autorisiert wird, die EU von Großbritanniens Absicht zum Austritt aus der Union zu informieren. Die große Mehrheit lässt nunmehr als sicher erscheinen, dass es dabei zu keinen Verzögerungen kommen wird. Die Regierung will den legislativen Prozess bis 7. März abschließen und bis Ende März den Brexit auslösen. Im selben Monat feiert die Union den 60. Jahrestag der Römischen Debatte.

In einer zweitägigen Debatte hatten viele Abgeordnete mit ihrem Abstimmungsverhalten gerungen. Sollten sie nach dem Wählerauftrag oder ihrem eigenen Gewissen stimmen? Der Tory-Veteran Ken Clarke rechnete in einer rhetorischen Glanzleistung mit seiner eigenen Regierung ebenso ab wie mit den Anhängern des EU-Austritts. In Anspielung auf „Alice im Wunderland“ erwiderte er auf Brandreden über die glorreiche Zukunft des „endlich befreiten und souveränen Großbritanniens“ (so Parteikollege John Redwood): „Sie glauben, wir müssen nur dem Hasen in seinen Bau folgen und wir werden in einem Schlaraffenland erwachen, wo nette Menschen wie die Präsidenten Trump und Erdogan bereits Schlange stehen, uns günstige Handelsverträge anzubieten.“

Clarke, der seit 30 Jahren für die Konservativen im Parlament sitzt und zahlreiche Ministerämter bekleidet hat, brachte die Opposition zu Jubelstürmen. Seine eigene Partei konnte die Bravourrede des 76-jährigen EU-Befürworters verkraften. Premierministerin May konnte schon in der Fragestunde vor der Abstimmung Oppositionsführer Jeremy Corbyn von der Labour Party selbstbewusst vorhalten: „Er kann vielleicht einen Protest anführen. Ich führe das Land.“

Das Land hatte am 23. Juni mit 51,9 Prozent für den Brexit gestimmt. Vor diesem Ergebnis kapitulierte in der Debatte auch die Opposition gegen den Gesetzesentwurf. In den Mittelpunkt der EU-Befürworter rückt damit nun das Bemühen, den von der Regierung angekündigten „harten Brexit“ zu verhindern. „Die Regierung hat keinen Freifahrtschein erhalten“, sagte die Labour-Abgeordnete Maria Eagle. Der frühere konservative Generalstaatsanwalt Dominic Grieve warnte vor „einem hohen Preis“ für den Brexit. „Ich glaube, wir haben einen schweren Fehler gemacht“, sagte er.

Angebot ausgeschlagen

Dennoch will die Regierung sich offenbar nicht von ihrem Kurs abbringen lassen. Der frühere Vizepremier Nick Clegg (2010-15) von den Liberaldemokraten informierte das Unterhaus, er wisse „aus verlässlicher Quelle“, dass London im vergangenen Sommer ein Angebot der deutschen Regierung für einen „weichen Brexit“ ausgeschlagen habe. Nach Angaben von Clegg bot Berlin eine „Notbremse“ für die Einwanderung an, London aber besteht auf einem völligen Ende der Personenfreizügigkeit. Die Regierung gab zu Cleggs Angaben keine Stellungnahme ab.

Angesichts der Tatsache, dass die Kosten des Brexit immer deutlicher spürbar werden, scheint auch die Geduld der Briten an ihr Ende zu kommen: In einer gestern von der Zeitung „The Independent“ veröffentlichten Umfrage, sagten 51 Prozent der Befragten, sie würden lieber Neuverhandlungen als einen schlechten Brexit-Deal sehen. Stellvertretend für viele Abgeordnete forderte auch der Konservative Neil Carmichael: „Es ist absolut entscheidend, dass das Parlament das letzte Wort haben wird.“ Die Regierung will dem Parlament bisher nur eine Abstimmung ohne Alternativen, aber keine inhaltliche Mitsprache gewähren. Das letzte Wort ist hierzu aber noch nicht gesprochen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2017)

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