Deutschland und die EU-Partner wollen die nordafrikanischen Staaten überzeugen, illegale Flüchtlinge von Europa fernzuhalten. Doch Ägypten und Tunesien zieren sich, Libyen ist politisch zerrissen.
Wien/Brüssel. Während die Zahl der Flüchtlinge, die via Türkei Europa erreichen, deutlich zurückgegangen ist, steigt die Zahl auf der Route von Libyen nach Italien besorgniserregend an. 40.000 Migranten, das sind um rund 40 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2016, sind heuer schon via Libyen nach Europa gekommen. Mit dem kommenden Frühling und besserem Wetter ist mit einem weiteren drastischen Ansturm über das Mittelmeer zu rechnen. Und Europa fand bisher kein Mittel dagegen. Als Lösung des Problems sehen die EU-Staaten derzeit lediglich die Möglichkeit, Flüchtlingsabkommen mit den nordafrikanischen Staaten zu schließen. Doch das ist schwieriger als erwartet – und wohl auch sehr teuer. Die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, startet daher heute, Donnerstag, eine „Rettungsmission“ für die EU-Flüchtlingspolitik. Sie reist nach Ägypten und Tunesien (Algerien wurde wegen schwerer Erkrankung des betagten Präsidenten abgesagt) und will dort um Hilfe dafür werben, illegale Flüchtlinge von der EU fernzuhalten. Merkel möchte mit den Staaten Nordafrikas Partnerschaftsverträge abschließen, ähnlich dem EU/Türkei-Abkommen. Es soll künftig Aufgabe der Nordafrikaner sein, Flüchtlinge von der Überfahrt nach Europa abzuhalten oder sie – wenn möglich – schon an den eigenen Grenzen zurückzuweisen.
Doch das Problem ist, dass diese Länder bis dato nicht dazu bereit bzw. kaum in der Lage dazu sind. Das Schlüsselland wäre angesichts der Nähe zu Italien (rund 300 Kilometer) der Staat Libyen. Beim jüngsten EU-Gipfel in Malta wurde vereinbart, Libyen viel Geld (200 Mio. Euro) zu geben, um die Migranten von einer weiteren Flucht nach Europa abzuhalten. Eine Einigung, die nur mit Bauchweh erzielt wurde, war doch den EU-Spitzen klar, dass auf Libyen kein Verlass ist. Denn die Regierung in Tripolis ist zwar von der UNO anerkannt, ihr Einflussbereich ist aber gering. Im Osten gibt es eine Gegenregierung – und dazwischen liegt das Terrain zahlreicher Milizen und auch dem IS nahestehender Extremisten. In ihren Gebieten kontrollieren sie die Schmugglerrouten, und sie lassen sich dieses Geschäft nicht gerne entgehen. Zudem gab es zuletzt alarmierende Menschenrechtsnachrichten aus Libyen: Unicef berichtete, dass ein großer Teil der in Libyen angekommenen weiblichen Migranten sexuell missbraucht worden sei; drei Viertel der Kinder seien Opfer von Gewalt geworden.
Was ist ein Auffanglager?
Insofern ist auch der Wunsch einiger europäischer Politiker – darunter Österreichs Außenminister Kurz –, Auffanglager in Libyen zu errichten, heikel. Wer soll diese kontrollieren? Wer übernimmt die Garantien? Dazu kommt die Frage der Definition: Was ist ein Auffanglager? Sollen alle aus Afrika kommenden Migranten zusammengefasst und dort schon über Asyl oder nicht entschieden werden? Oder sollen dort auch in Europa abgelehnte Asylwerber zurückgebracht werden? Libyens Ministerpräsident, Fajas Seradsch, hat dies vor Kurzem kategorisch ausgeschlossen. „Wir reden nur über Menschen, die aus Afrika zu uns kommen“, sagte er.
Tunesien, wo der Arabische Frühling begann und einigermaßen stabile rechtsstaatliche Verhältnisse herrschen, hat bisher alle Wünsche nach Lagern auf seinem Staatsgebiet abgelehnt. In Tunis herrscht Sorge, dass die fragile politische und wirtschaftliche Lage ins Schwanken kommen könnte. Informell heißt es in Diplomatenkreisen, dass sowohl Kairo als auch Tunis einen hohen Preis für ihre Zusammenarbeit verlangen könnten – sowohl finanzieller Natur und/oder in Form von Visaerleichterungen.
Merkels Besuch in Kairo ist auch unter einem anderen Gesichtspunkt zu sehen: Ägypten hat große Einflussmöglichkeiten auf die libysche Gegenregierung in Tobruk, Tunesien wiederum auf die Regierung in Tripolis. Die Kanzlerin wird wohl versuchen, dass die beiden Länder eine Friedensdiplomatie in Gang setzen und damit zur libyschen Einigung beitragen könnten. Diese Stabilisierung würde der EU am meisten helfen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2017)