Österreichs Außenminister schlägt einen EU-Nachbarschaftsvertrag mit der Türkei vor – als Alternative zu einer EU-Mitgliedschaft.
Wien. Sebastian Kurz drängt auf einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Stattdessen strebt Österreichs Außenminister einen neuen europäisch-türkischen Nachbarschaftsvertrag an. Das geht aus einem Positionspapier hervor, welches das Außenamt zur Vorbereitung für den österreichischen EU-Ratsvorsitz im zweiten Halbjahr 2018 ausarbeitet.
Die Türkei bewege sich seit Jahren weg von der EU, heißt es in dem Rohentwurf, der der „Presse“ vorliegt. Dieser Prozess habe sich seit dem gescheiterten Putschversuch im Sommer noch beschleunigt - „mit dramatischen Auswirkungen auf Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.“ Daher sei ein Beitritt „dieser Türkei“ zur EU „undenkbar“, heißt es in dem Papier.
Sinnvoller als ein „starres Festhalten an einer Beitrittsfiktion“ sei ein realistischer Ansatz, und zwar ein neuer Nachbarschaftsvertrag. Als Basis dafür soll eine modernisierte Version der Zollunion dienen, welche die EU und die Türkei vor 21 Jahren auf Grundlage des 1963 abgeschlossenen Assoziierungsabkommens vereinbart haben. Ausdrücklich ins Visier nimmt das österreichische Außenministerium dabei eine Zusammenarbeit mit der Türkei in den Bereichen Außen- und Sicherheitspolitik, in Justiz- und Polizeiangelegenheiten, vor allem aber bei der Terrorismusbekämpfung.
Die Türkei sei ein bedeutender regionaler und wirtschaftlicher Akteur, ist in der Analyse des österreichischen Außenministeriums zu lesen. Deshalb hätten auch beide Seiten, sowohl die EU als auch die Türkei, ein Interesse an möglichst engen und konstruktiven Beziehungen auf Augenhöhe und auf allen Ebenen. Eine Personenfreizügigkeit für türkische Bürger im Rahmen des EU-Binnenmarkts sieht das Konzept eines Nachbarschaftsvertrags jedoch nicht vor.
Der Gedanke ist nicht neu. Schon 2004 lancierten die deutschen Christdemokraten die Idee einer privilegierten EU-Partnerschaft mit der EU. Doch im Oktober 2005 nahm die Europäische Union offiziell Beitrittsverhandlungen mit der Türkei auf. Bisher wurde lediglich eines von insgesamt 33 Verhandlungskapiteln abgeschlossen, jenes über Wissenschaft und Forschung. (red)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2017)