Spaltungstendenzen untergraben Mays Brexit-Eröffnungszug

Die schottische Regierungsministerin Nicola Sturgeon
Die schottische Regierungsministerin Nicola Sturgeon(c) APA/AFP/ANDY BUCHANAN (ANDY BUCHANAN)
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Schottlands Parlament hat einem neuerlichen Votum über die Unabhängigkeit zugestimmt. Auch in Nordirland wächst der Widerstand gegen den EU-Austritt.

London. Ehe die britische Premierministerin Theresa May am Mittwoch nach der traditionellen Fragestunde im Parlament eine Erklärung zum offiziellen Auftakt für den Austritt ihres Landes aus der EU gibt, droht ihr das Vereinigte Königreich an den Rändern zu entgleiten. Das schottische Parlament erteilte am Dienstagabend mit einer Mehrheit von 69 zu 59 Stimmen der von den Nationalisten (SNP) gestellten Minderheitsregierung das Mandat, die nächsten Schritte zur Abhaltung einer neuen Volksabstimmung über die Unabhängigkeit einzuleiten. London lehnt dies kategorisch ab, und May wiederholte am Montag ihre Position mit den Worten: „Jetzt ist die Zeit zusammenzustehen.“

Der Aussage war ein kurzes und offensichtlich erfolgloses Treffen zwischen May und der schottischen Regierungsministerin Nicola Sturgeon in einem Hotel in Glasgow vorausgegangen. Dem Vernehmen nach weigerte sich May, ein schottisches Regierungsgebäude zu betreten. Sturgeon giftete danach vor laufenden Kameras: „Ich habe absolut nichts Neues erfahren.“ May war überhaupt zu keiner öffentlichen Stellungnahme bereit. Die Schottland-Ausgabe des Massenblattes „Sun“, die immer ihr Fähnchen nach dem Wind dreht, fragte verächtlich: „Warum ist sie überhaupt gekommen?“

Tatsächlich sind die Fronten zwischen den Führungen in Edinburgh und London verhärtet. Ohne Zustimmung der britischen Zentralregierung kann Schottland keine gültige neuerliche Volksabstimmung über die Unabhängigkeit abhalten. London spielt aber auf Zeit. Einerseits zeigen Umfragen, dass die schottische Bevölkerung keineswegs so enthusiastisch wie ihre Führung nach 2004 schon wieder eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit will. Zum anderen argumentiert etwa die schottische Führerin der Konservativen, Ruth Davidson, dass man „zuerst das Ergebnis der Brexit-Verhandlungen kennen muss, ehe man eine Entscheidung über die Zukunft treffen kann.“

May hat wiederholt klar gemacht, dass sie vehement gegen einen Zerfall des Vereinigten Königreichs ist. In einer Rede in Schottland sagte sie: „Wenn diese große Union aus England, Wales, Schottland und Nordirland sich etwas gemeinsam vornimmt und mit Entschlossenheit verfolgt, dann hat sie eine unaufhaltsame Kraft.“ Doch außer Rhetorik hat sie bisher wenig geboten: Von dem Versprechen einer „gemeinsamen britischen Brexit-Position“ ist nichts geblieben, stattdessen entschied sich May für einen harten Brexit. Selbst der milde First Minister von Wales, Carwyn Jones, sagte kürzlich, May habe von den Anliegen der einzelnen Landesteile „nichts verstanden“.

Während Wales und England für den Austritt aus der EU gestimmt hatten, entschieden sich im Vorjahr Schottland und Nordirland für den Verbleib in der Union. Im Schatten der Debatte um Schottlands Zukunft ist in Nordirland eine ernste politische Krise entstanden. Vorzeitige Neuwahlen im März brachten eine Pattstellung zwischen pro-britischen Unionisten und pro-irischen Republikanern. Nachdem Gespräche über eine Regierungsbildung erfolglos blieben, führt seit gestern der höchste Beamte der Provinz, Sir Malcolm McKibbin, in eingeschränktem Ausmaß die Geschäfte.

Vision einer Wiedervereinigung

Sollten die Parteien zu keiner Einigung kommen, müsste London erneut die Verwaltung übernehmen. Das will niemand. Nordirland-Minister James Brokenshire setzt vorerst auf Zeit und gab gestern den Parteien in einer Erklärung eine Frist bis „nach Ostern“, um zu einer Vereinbarung zu kommen. „Wir wollen keine Rückkehr zur Regierung aus London.“
Der Rückenwind ist auch hier aufseiten der Gegner der britischen Zentralregierung. Die republikanische Partei Sinn Féin spricht offen von der Wiedervereinigung der Insel, warnt vor Gefahren des Brexit für den Friedensprozess und versucht in Verhandlungen mit der DUP als der stärksten Partei der Unionisten das Maximum herauszuholen: Nicht nur lehnen die Republikaner einer Zusammenarbeit mit der bisherigen Regierungschefin Arlene Foster ab. Sie verlangen auch die Aufwertung der irischen Sprache.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2017)

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