Umverteilung wird Chefsache

Nein, Vizekanzler Mitterlehner (li.) stärkt Kanzler Kern nicht den Rücken. Sondern pirscht sich an.
Nein, Vizekanzler Mitterlehner (li.) stärkt Kanzler Kern nicht den Rücken. Sondern pirscht sich an.(c) APA/HERBERT PFARRHOFER
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Die große Ministerrats-Show: In den Hauptrollen Kanzler Christian "Wendehals" Kern und Vizekanzler Reinhold "Ich glaube nicht, dass das gelingen kann" Mitterlehner.

Seid ihr alle da? „Ein massives Kasperltheater“ werde da gerade in der SPÖ gespielt, findet Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter am Dienstag. „So machen wir uns auf europäischer Ebene lächerlich.“ Damit meint er die Debatte rund um die sogenannte Relocation, also die Umverteilung von Asylwerbern aus Italien und Griechenland in andere EU-Länder. Derzeit geht es um 50 unbegleitete Jugendliche, die Österreich aus Italien übernehmen soll. Die SPÖ will die Vereinbarung stoppen bzw. aufschieben, die ÖVP wehrte sich zu Beginn dagegen. Um dann doch ihre Position zu ändern.

Man muss es nicht so negativ sehen wie der Landwirtschaftsminister, aber der Konflikt in der Regierung hatte am Dienstag zumindest einen gewissen Unterhaltungswert. Die beiden Regierungsparteien lieferten vor, während und nach dem Ministerrat am Dienstag eine regelrechte Show ab. In den Hauptrollen: Bundeskanzler Christian Kern und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner.

Ersterer trat direkt nach der Regierungssitzung vor die Medien – etwas, das nur noch selten vorkommt. Bei der Aufnahme von Flüchtlingen hätte Österreich „Überdurchschnittliches geleistet“. Auch durch illegale Einreisen würden weiterhin Menschen in das Land kommen. Kern hat daher einen Brief nach Brüssel geschrieben, um für Verständnis für Österreichs Position zu werben: „Auch wenn das eine schwierige Arbeit sein wird.“

„Achtung, ich stehe dahinter“

Als Agent Provocateur will Kern auf EU-Ebene aber nicht auftreten. Soll heißen: Auf ein Vertragsverletzungsverfahren will er es nicht ankommen lassen. Die Umverteilung soll nur aufgeschoben werden, wenn es dafür grünes Licht in Brüssel gibt. Denn generell gelte: „Wir müssen ein loyaler Partner in der EU sein und Verpflichtungen wahrnehmen“, sagte er.

Was er zu den Angriffen aus der schwarzen Regierungshälfte sage? „Gar nichts“, sagt Kern. Die würde es ohnehin immer wieder von der ÖVP geben. „Vorsicht, ich stehe dahinter“, meldete sich daraufhin eine Stimme aus dem Off: Vizekanzler Mitterlehner hatte sich kurz davor von hinten herangepirscht und lugte in die Fernsehkameras.

Und auch er erklärte seine (pessimistische) Sicht der Dinge: „Ich glaube nicht, dass das gelingen kann“, sagte er zur Initiative Kerns. Und überhaupt: Die Debatte rund um die Umverteilung sei „nicht von uns begonnen worden“. Dass hier ein Streit entstanden sei, „liegt weniger an uns, als im Bereich des Koalitionspartners“. Die ÖVP habe nur darauf verwiesen, dass es Beschlüsse gebe, die umzusetzen seien.

Der Preis für den besten Nebendarsteller ging auf ÖVP-Seite am Dienstag wiederum an Landwirtschaftsminister Rupprechter. Dieser ging auf die Journalisten zu und kritisierte – ohne auf entsprechende Fragen zu warten – den Koalitionspartner. Die Linie der SPÖ und Kanzler Kerns sei jene eines „tourner le cou“, befand er. Die Übersetzung aus dem Französischen lieferte er selbst dazu: Wendehals.

Und für die SPÖ? Da meldete sich der Wiener Bürgermeister, Michael Häupl, im Rathaus zu Wort. „Die 50 nehme ich sofort in Ottakring“, richtete er seiner Partei via „Standard“ aus. Klubchef Andreas Schieder und Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil verteidigten wiederum die Position der SPÖ: Der EU-Beschluss sehe eine faire Verteilung von Flüchtlingen in Europa vor. Eine Ausnahme für Österreich sei gerechtfertigt, da das Land überbelastet sei. Jetzt seien einmal andere Länder bei der Flüchtlingsaufnahme an der Reihe.

Erste Abfuhr aus Brüssel

Aber auch hinter den Kulissen, also während der Regierungssitzung, dürften die Wogen hochgegangen sein. Und zwar nicht nur im Konflikt SPÖ vs. ÖVP: Während Verteidigungsminister Doskozil für einen endgültigen Ausstieg plädiert haben soll, trat Kern für eine softere Variante ein – also eine Aufschiebung der Aufnahme von Flüchtlingen.

So oder so: Aus Brüssel kam am Dienstag schon eine erste Abfuhr: Eine Sprecherin der EU-Kommission mahnte Österreich via „Welt“ zur Aufnahme dieser Gruppe von Flüchtlingen. Die Ausnahmeregelung, die Wien in der Vergangenheit aufgrund der hohen Anzahl an Asylanträgen beantragt habe, sei ausgelaufen: Die Bundesregierung hatte einen Aufschub bis 11. März 2017 bewilligt bekommen.

Allgemein geht es um die Aufnahme von 1953 Flüchtlingen: 1491 aus Griechenland und 462 aus Italien. Über die EU-weite Umverteilung wurde im September 2015 im EU-Innenministerrat abgestimmt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.03.2017)

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