Kanzler Kern: "Europa ist kein Geldautomat"

Brüssel, die Krawatte sitzt.
Brüssel, die Krawatte sitzt.APA/AFP/POOL/JULIEN WARNAND
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Bundeskanzler sieht im "Handelsblatt"-Interview Brexit als Möglichkeit, die EU neu zu erfinden. Scharfe Kritik an Haltung Ungarns und Polens zur Flüchtlingsfrage.

Bundeskanzler Christian Kern (SP) hat in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung "Handelsblatt" vom Donnerstag die Haltung der osteuropäischen Länder in der Flüchtlingskrise scharf kritisiert: "Manche Regierungen tun so, als wäre Europa ein Geldautomat und keine Wertegemeinschaft." Gleichzeitig plädierte er für eine "neue Vision Europas".

"Wir brauchen eine kraftvolle Vision, die gerade die Jungen begeistert. Die Grundidee Europas, dass wir gemeinsam stärker sind, muss mit neuem Leben erfüllt werden", erklärte der Bundeskanzler und verurteilte die Abschottungspolitik einiger Mitgliedsstaaten. "Wir brauchen innerhalb Europas offene Grenzen", so Kern, denn in Europa gehe es nicht nur um Märkte, sondern vor allem um Menschen. "Wir sind erfolgreich und wohlhabend geworden, weil wir eine offene und pluralistische Gesellschaft sind. Gerade vor den Entwicklungen in den USA, in China und Russland brauchen wir ein europäisches Gegenmodell der Offenheit."

Für Sanktionen gegen Polen und Ungarn

Kern unterstützt darum weiter mögliche EU-Sanktionen gegen Ungarn und Polen wegen mangelnder Kooperation und Solidarität in der Flüchtlingsfrage: "Wir haben es mit Appellen und Aufrufen zu Solidarität an Polen und Ungarn versucht und sind damit nicht weitergekommen. Aber wir müssen diesen Konflikt jetzt lösen." Europa sei kein Geschäftsmodell, so Kern. "Wenn jemand seinen Verpflichtungen nicht nachkommt, muss diese Haltung zu Konsequenzen führen" führte der Bundeskanzler aus. "Wir haben so oft an die europäische Solidarität appelliert - vergeblich."

Für Kern ist es zudem völlig klar, dass man Italien mit dem Flüchtlingsproblem nicht allein lassen dürfe. "Die Mehrheit der Staats- und Regierungschefs ist für die notwendigen Reformen bereit", meinte Kern und kritisierte diesbezüglich die Haltung Polens und Ungarns. "Wir können unseren Bürgern nicht erklären, dass Polen jedes Jahr 14 Milliarden Euro an EU-Subventionen bezieht und gleichzeitig uns in der Flüchtlingskrise allein lässt. Ungarn hat die Körperschaftsteuer auf neun Prozent gesenkt und ist gleichzeitig massiver EU-Nettoempfänger. Das passt für mich nicht zusammen."

Kern sieht in der Haltung der beiden Länder die Konsequenz mehrerer Fehler, die auf die schrittweisen EU-Erweiterungen ohne Anpassung der Entscheidungsmechanismen zurückzuführen seien. "Die Einführung des Euros ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik" holten "uns jetzt mit großer Wucht ein".

"Aufmarsch arabischer Interessen am Balkan"

Der Brexit sei wiederum auch eine "riesige Chance, Europa neu zu erfinden. Dann werden sich auch die Menschen wieder mehr für Europa begeistern. Wir leben in einer Welt voller Chancen", erklärte Kern zum EU-Austrittsprozess Großbritanniens. Deutschland und Frankreich sehe er als zentralen Motor für Reformen.

Der Bundeskanzler erklärte zudem, dass er die geplante EU-Erweiterung in Südosteuropa unterstütze. "Der Balkan ist nicht Europas Hinterhof, sondern das Wohnzimmer. Wir sehen in der Region einen Aufmarsch unterschiedlichster Interessen, russischer, türkischer und arabischer. Wir können nicht zulassen, dass Europa in diesen Ländern eine zweit- oder gar drittrangige Rolle spielt".

(apa)

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