Irland-Nordirland: Die neue EU-Außengrenze

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London will physische Grenzkontrollen zwischen beiden Teilen Irlands vermeiden. Aber es produziert damit einen Rattenschwanz an Problemen – auch für sich selbst.

London/Wien. Einen reibungslosen Grenzverkehr ohne „physische Grenzinfrastruktur und Grenzposten“ wünscht sich die britische Regierung für die innerirische Grenze nach dem Brexit. Das geht aus einem am Mittwoch in London präsentierten Strategiepapier hervor. Historisch spricht vieles dafür, denn auch die Brüsseler Brexit-Verhandler wollen keine Rückentwicklung hinter das 1998 geschlossene Friedensabkommen (Karfreitagsabkommen), das eine Öffnung der lange Zeit umstrittenen Grenze zwischen der Republik Irland und dem zum Königreich gehörenden Nordirland zur Folge hatte. Doch so leicht, wie sich das London vorstellt, wird das nicht gehen:

1 Die offene Grenze hängt unmittelbar mit der Zollunion zusammen

Die britische Regierung will nur für eine Übergangsfrist in einer Zollunion mit den bisherigen EU-Partnern verbleiben. Später will sie in völliger Unabhängigkeit eigene Zollabkommen mit Drittländern abschließen. Was aber würde dann an der irisch-nordirischen Grenze geschehen? Dort müsste jeder Lkw kontrolliert werden, der internationale Waren transportiert. Je nach bilateraler Zollvereinbarung müssten hier Importe für das britische Hoheitsgebiet separat verrechnet und kontrolliert werden. Umgekehrt müsste die EU sicherstellen, dass über diese Grenze keine Waren, die mit geringerem Zoll nach Großbritannien eingeführt wurden, ihren Weg auf den Binnenmarkt finden. London will hier eine technische Lösung, etwa in der Form von automatisch übermittelten Warenpapieren und gescannten Lkw-Ladungen. Doch das würde die Standards im Warenverkehr in der gesamten EU und für Drittländer ändern.

2 Die Personenfreizügigkeit beider Teile Irlands hätte Nebenwirkungen

Irlands Premierminister, Leo Varadkar, hat die Sorge vieler Landsleute artikuliert, als er vor wenigen Wochen den Brexit-Befürwortern in London vorgeworfen hatte, sie würden das Konzept und die Implementierung der Grenzkontrollen an die Iren delegieren. Denn in der Tat impliziert der von der britischen Regierung angestrebte EU-Austritt ohne Grenzinfrastruktur, dass die Iren (die ebenfalls nicht der Schengen-Zone angehören) einreisende EU-Ausländer davon abhalten sollen, die irisch-nordirische Grenze zu passieren – was in der Praxis unmöglich wäre. Die Beibehaltung der Personenfreizügigkeit hätte aber auch mögliche Konsequenzen für die Iren – nämlich dann, wenn die Briten im Zuge des Brexit ihre Migrations- und Asylgesetze verschärfen, was naheliegend scheint. In einem derartigen Fall könnten in Großbritannien abgewiesene Asylwerber die Landgrenze queren, um in Irland um Asyl anzusuchen.

3 Nordirlands Teilnahme am Binnenmarkt wäre für London inakzeptabel

Eine Lösung wäre eine weitere Einbindung Nordirlands in den EU-Binnenmarkt. Für die rund 30.000 Pendler, die täglich die 500 Kilometer lange Grenze zwischen Irland und Nordirland passieren, würde sich nichts ändern, auch nicht für viele Wirtschaftstreibende. 60 Prozent der nordirischen Exporte gehen nach Irland. Umgekehrt liefert Irland einen erheblichen Anteil seiner Agrarprodukte in den Norden. Die Wirtschaften sind schon so verschmolzen, dass beispielsweise in Irland gemolkene Milch in nordirischen Molkereien verarbeitet wird. Für London ist diese partielle Binnenmarktteilnahme aber keine Option. Zum einen würde es damit seinerseits die offene Grenze zu Nordirland verlieren. Zum anderen würde das der Wiedervereinigung der grünen Insel Vorschub leisten. Die britische Regierung würde automatisch an Regulierungsmöglichkeiten und damit an politischem Einfluss in Belfast verlieren.

4 Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen produziert nur Verlierer

Am Fall Nordirland wird die gesamte Problematik des Brexits deutlich. Denn eine klare Trennung zwischen der EU und Großbritannien müsste eigentlich zur Wiedereinführung von Grenzkontrollen zwischen dem unabhängigen Irland und dem Gebiet des Vereinigten Königreichs führen. Und das hätte negative Folgen für alle Seiten. Beide Teile der irischen Insel müssten mit wirtschaftlichen Nachteilen rechnen. Viele der Pendler würden ihren Job verlieren. Der historische Frieden zwischen Katholiken und Protestanten wäre gefährdet, da sich ein Teil der nordirischen Bevölkerung wieder stärker Richtung Dublin, der andere Richtung London orientieren würde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2017)

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