Brüsseler Spaltpilz namens Glyphosat

Mehr als eine Million Unionsbürger haben eine Europäische Bürgerinitiative für das Verbot von Glyphosat unterstützt. Die Kommission muss sich dessen nun annehmen.
Mehr als eine Million Unionsbürger haben eine Europäische Bürgerinitiative für das Verbot von Glyphosat unterstützt. Die Kommission muss sich dessen nun annehmen.(c) imago/snapshot (snapshot-photography/K.M.Krause)
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Das umstrittene Herbizid legt mehrere Klüfte in der EU offen: zwischen Staaten, zwischen Agrarindustrie und Umweltschützern – und innerhalb der Regierung in Berlin.

Brüssel. Weder dafür noch dagegen: Wieder einmal trafen sich die zuständigen Beamten der nationalen Regierungen in Brüssel, um über die Erneuerung der Zulassung des Unkrautvernichtungsmittels Glyphosat abzustimmen. Und wieder einmal kam weder die nötige Mehrheit dafür zustande, diese am 16. Dezember auslaufende Genehmigung für fünf Jahre zu verlängern, noch gab es genügend viele Stimmen für ein Verbot.

Das Ergebnis im Detail: 14 Staaten waren bei der Sitzung am Donnerstag für die Verlängerung der Zulassung, neun dagegen, und fünf haben sich enthalten. Ende November wird ein Berufungsausschuss über diese Frage entscheiden, der ebenfalls aus Fachbeamten der Mitgliedstaaten besteht und von der Europäischen Kommission geleitet wird. Doch da dort dieselben Abstimmungsregeln gelten wie bei der nun gescheiterten Sitzung, ist es ungewiss, ob die Union in den nun verbleibenden fünf Wochen zu einer Entscheidung fähig sein wird.

In diesem Fall ist es anzunehmen, dass die Hersteller des weltweit am häufigsten eingesetzten Herbizids auf Schadenersatz zu klagen versuchen. Allen voran der vom deutschen Chemiekonzern Bayer übernommene US-Hersteller Monsanto tritt in Brüssel betont aggressiv auf. Vor Kurzem entzog das Europaparlament seinen Lobbyisten die Zugangsberechtigung für das Parlamentsgebäude, nachdem diese die Teilnahme an einer Anhörung abgelehnt hatten.

Einschränkungen in Österreich

Glyphosat ist nach Beurteilung der EU-Behörden für Chemikalien und Lebensmittelsicherheit nicht krebserregend. Diese mehr als 4000 Seiten umfassende Studie wird allerdings von Umweltschützern und Gesundheitsexperten angezweifelt, zumal bekannt wurde, dass rund 100 Seiten daraus wortgleich aus einer Eingabe von einem von Monsanto geführten Industrieverband kopiert worden waren. Unstrittig ist jedenfalls die negative Auswirkung des Stoffes auf die Pflanzen- und Tierwelt, vor allem in Seen und Flüssen, wo das Mittel eingespült wird.

Aus diesem Grund haben einige EU-Staaten die Anwendung von Glyphosat bereits stark eingeschränkt. In Österreich zum Beispiel ist die in der Landwirtschaft lange Zeit gängige Praxis, Getreide durch das Besprühen mit dem Mittel abzutöten und somit künstlich schnell zu reifen, seit dem Jahr 2013 verboten. Die Bundesagentur für Ernährungssicherheit arbeitet mit den zuständigen Landesstellen daran, den Einsatz in Bereichen wie der Straßenmeisterei oder öffentlichen Garten- und Parkanlagen stark zu beschränken.

Auf europäischer Ebene legt der Streit um Glyphosat mehrere Klüfte offen. Erstens stehen sich zwei Gruppen von Mitgliedstaaten gegenüber: jene mit politisch einflussreichen Umweltschutzbewegungen, die Glyphosat nach dem Vorsorgeprinzip verbieten wollen, und jene, in denen großflächige industrielle Landwirtschaft kaum hinterfragt wird. Die neun Gegner sind Frankreich, Italien, Belgien, Österreich, Griechenland, Luxemburg, Kroatien, Malta und Zypern. Ihnen stehen fast alle früheren kommunistischen Staaten sowie die Skandinavier, die Briten und die Niederländer gegenüber.

Ball liegt bei den Regierungen

Der Glyphosat-Streit zeigt aber auch die Zerrissenheit der deutschen Regierungskoalition. Das Umweltministerium ist gegen, das Landwirtschaftsministerium für die Verlängerung der Zulassung. Agrarminister Christian Schmidt bot der Kommission den Kompromiss an, die Zulassung um drei statt um fünf Jahre zu erstrecken. Bei den Verhandlungen über die Jamaika-Koalition zwischen CDU/CSU, FDP und den Grünen bestehen Letztere darauf, dass Berlin Glyphosat sofort verbietet.

Der Ball liegt nun bei den Mitgliedstaaten und nicht, wie sowohl Grüne als auch SPÖ am Donnerstag in Aussendungen behaupteten, bei der Kommission. Denn die für diese Verfahrensfrage zuständige Vorschrift aus dem Jahr 2011 sieht vor, dass die Kommission die Entscheidung nicht selbst fällt, „wenn dieser Rechtsakt [. . .] den Schutz der Gesundheit oder der Sicherheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen [. . .] betrifft“.

AUF EINEN BLICK

Glyphosat ist das weltweit am häufigsten eingesetzte Mittel zur Unkrautvernichtung. Seine zehnjährige Zulassung in der EU läuft am 16. Dezember aus. Um sie zu verlängern (oder eine Verlängerung zu verweigern), braucht es eine Mehrheit von 55 Prozent der Mitgliedstaaten, die 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten. Weder für noch gegen Glyphosat kam bisher so eine Mehrheit zustande.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2017)

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