Die politische Achse: Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy zeigen beim Euro-Krisengipfel ihre Animositäten. Ihre Vorgänger waren anders - und auch nicht.
Brüssel/Wien. Es ist bei jedem Treffen dasselbe: Irgendwann ist bei beiden der Zeigefinger hoch in der Luft. Selbst Mittwochabend, als sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy im Vorfeld des Euro-Krisengipfels in Berlin zum Abendessen trafen, war es so. Dabei hatten sich die beiden nur kurz zur Begrüßung vor den Kameras postiert. Es reichte, um diese kleine Geste der Disharmonie ins Bild zu rücken. Selbst die üblichen Küsschen geraten dem eitlen Franzosen und der unprätentiösen Deutschen oft zum ungelenken Gnadenakt mit gespitzten Lippen. Wie anders war das noch bei ihren Vorgängern: Gerhard Schröder und Jacques Chirac schienen sich förmlich zu erdrücken in ihrer überbordenden Gunstbezeugung.
„Madame No und Monsieur Duracell“
Das deutsche Nachrichtenmagazin „Spiegel“ beschrieb das ungleiche Duo Merkel/Sarkozy einmal als „Madame No und Monsieur Duracell“. Er poltert und macht viel Tamtam. Sie zaudert, wägt ab, bleibt dann aber hart. Dass Sarkozy einmal beteuerte, er möge Merkel mehr als manche schreiben, lässt erahnen, wie tief da so manche Kränkung sitzt. Was nichts daran ändert, dass sie sich immer wieder ganz uncharismatisch durchsetzt. Das schadet dann allerdings Sarkozy weniger, als es Merkel nützen könnte. In Berlin und Umgebung ist die deutsche Kanzlerin wegen ihrer Europapolitik seit Monaten unter stetem Beschuss.
Jetzt ist schon klar, dass die Eurokrise Merkel und Sarkozy vor ganz andere Herausforderungen stellt, als ihre Vorgänger, die sich streckenweise ganz der politischen Aussöhnung und dem Fortschreiben des europäischen Projekts widmen durften. Aber ganz so paletti lief auch in den letzten 50 Jahren das Wirtschaftswachstum nicht ab. Und dann war da noch der Zusammenbruch der Sowjetunion, die deutsche Einigung, die Jugoslawien-Kriege et cetera, et cetera.
In der historischen Rückschau wird zudem einiges verklärt. Die politische Achse zwischen Paris und Berlin war zwar bislang immer der stärkste europäische Motor. Ein dritter Player gesellte sich aus diversen Gründen nicht dazu, selbst wenn die Franzosen von Zeit zu Zeit nach Großbritannien schielten. Und auch ein haltbares Gegengewicht hat sich nicht etabliert, obwohl die Auswahl mittlerweile aus 27 EU-Ländern zu treffen wäre. Oder vielleicht gerade deshalb.
Große Gesten, pragmatische Annäherung
Es stand nicht immer nur die uneigennützige Versöhnungsgeste im Vordergrund, es war eben oft auch die pragmatische Idee, die für die deutsch-französische Annäherung verantwortlich war. Wie auch immer: 1962 feierten Konrad Adenauer und Charles de Gaulle eine gemeinsame Messe in Reims, 1963 unterzeichneten sie den Elysée-Vertrag. 1984 hielten sich Helmut Kohl und François Mitterrand in Verdun minutenlang an der Hand. Und Gerhard Schröder besuchte 2004 als erster Kanzler mit Jacques Chirac die Feiern der Sieger des Zweiten Weltkriegs in der Normandie.
Dass Schröder aus anfänglicher Ignoranz und Fehleinschätzung der Bedeutung des Treffens eigentlich schon abgesagt hatte, ist eine andere Sache. Und auch, dass sein Verhältnis zu Chirac anfangs eher unterkühlt war, bevor es die gemeinsame Ablehnung des Irak-Krieges inniglich werden ließ. Wie im Übrigen auch Georges Pompidou und Willy Brandt lange Zeit wenig miteinander anfangen konnten. Dafür waren Valéry Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt von Anfang an ein Herz und eine Seele.
Wenn es also dauert, bis man einander findet, sollte sich Angela Merkel wohl wieder einmal einen Louis-de-Funès-Film ansehen. Das hat sie angeblich getan, um den „kleinen Napoleon“, so nennt sie Sarkozy angeblich, besser zu verstehen. Und was bleibt diesem? Ein Blick in einen alten Heinz-Erhardt-Streifen? Den Zeigefinger hatte der zumindest auch öfters in der Höh'.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2011)