„Gehirn an der Garderobe abgegeben“

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Bei Scientology geht es weniger um spirituelle Erfüllung, sondern nur um Macht und Geld, sagt ein Aussteiger.

WIEN. „Mein Gehirn hatte ich an der Garderobe abgegeben und dann den Zettel verloren.“ Gefunden hat Wilfried Handl seinen Garderobenzettel erst 28 Jahre später, als er aus dem umstrittenen Verein Scientology ausstieg und sein Leben selbst in die Hand nahm. Der Wiener, der sogar Chef des österreichischen Scientology-Ablegers war, gibt heute zu, „Täter“ gewesen zu sein. Er habe Menschen manipuliert und unter Druck gesetzt, um der Organisation zu dienen.

Vom amerikanischen Science-Fiction Autor L. Ron Hubbard 1954 gegründet, verspricht Scientology seinen Mitgliedern spirituelle Erlösung. Diese findet man, wenn man die „Brücke zur Freiheit“ emporklettert. Um den höchsten Bewusstseinszustand zu erreichen, ist es nötig, eine Reihe kostspieliger Kurse zu absolvieren, von Scientology „Auditing“ genannt. Persönlichkeitstests, bei denen laut Insider-Berichten alles andere als zimperlich mit den Teilnehmern umgegangen wird, tragen zur spirituellen Reinigung bei. Äußerst straff und streng hierarchisch ist dieses Kurssystem aufgebaut, um das Handeln und Denken im Sinne Hubbards durchzusetzen.

„Gehirnwäsche“ nennt Aussteiger Handl die Therapie-Kurse. Religiöse Erfüllung spiele da kaum eine Rolle. „Da geht es um Macht und um Geld“, sagt Handl. Er selbst hat rund 140.000 Euro bei Scientology gelassen.

Als Verein registriert

Weltweit unterhält Scientology ein weit verzweigtes Netz an Unterorganisationen, die nicht unbedingt als solche erkannt werden wollen. Unternehmensberater oder Werbeagenturen agieren im Sinne Ron Hubbards. Der Gründer selbst benennt auch Geld und Machtausübung als wichtige Säule der Lehre. So gibt es etwa militärisch strukturierte Unterorganisationen, die auch in Uniformen auftreten und die sich darum kümmern, dass die jeweiligen Landesorganisationen ihr Plansoll erfüllen.

Ist Scientology nun eine Religion oder bloß eine machtgierige Sekte? Diese Frage beschäftigt derzeit einige europäische Länder. In Deutschland wird immer wieder diskutiert, ob Scientology aufgrund von Verstößen gegen die Verfassung verboten werden sollte. Andernorts herrscht Gleichgültigkeit – wie etwa in Österreich.

Anders als in Deutschland wird Scientology nicht vom Verfassungsschutz beobachtet. Scientology steht weder beim Innen- noch beim Familienministerium unter Beobachtung. Legal gesehen handelt es sich um einen Verein mit religiösem Zweck. Eine Anerkennung als Bekenntnisgemeinschaft oder Religion hat man hierzulande (noch) nicht angestrebt.

Angelika Thonauer von Scientology Österreich sieht alle Voraussetzungen zur Anerkennung als Religionsgemeinschaft erfüllt: „Wir haben gemeinnützige Programme, wirken breit in die Gesellschaft hinein und arbeiten für die religiöse Erfüllung.“ Dass Aussteiger negativ berichten, sei wohl klar. „Demgegenüber stehen Millionen zufriedener Kunden“, behauptet Thonauer.

Immer wieder beziehen sich Scientology-Sprecher auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg. Dort befand man 2007, ein Verbot der Scientology-Kirche verstoße gegen die Menschenrechte. Doch auch in Belgien könnten sich bald die Gerichte mit Scientology befassen – wenn auch auf andere Art und Weise. Der Staatsanwalt will die Organisation wegen Betrug und Erpressung anklagen.

Krank von der Lehre abgewendet

Geht es nach Handl, dann macht die Scientology-Kirche mit ihren Science-Fiction-Fantasien (siehe Kasten) finanziell und psychisch abhängig.

Denkstrukturen und Muster, die er bei Scientology so lange eingeübt hat, die wird er so schnell nicht los. Obwohl er im Jahr 2002 aufgrund einer Krebserkrankung Scientology den Rücken kehrte und seither als „unerwünschte Person“ gilt, ertappt er sich manchmal noch immer dabei, dass er Scientology-Muster verwendet. „Heute bin ich zu fast 90 Prozent Mensch. Der Rest ist noch immer Scientologe.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2007)

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