Wer sich fürchtet, verpasst in Südamerika viel

Kalt-sauer mariniertes Meeresgetier, Meerschweinchen, hängende Schweine.

Das fleckige Messer mit dem Holzgriff ist nicht rostfrei. Aber unter der routinierten Führung der sonnengegerbten Hand filetiert es den Fisch und schneidet die entgräteten Stücke in Streifen. Die wandern in eine Schüssel, wo Ringe roter Zwiebeln im Saft von Limetten ziehen, nach fünf Minuten landen gehackte Korianderblätter in der Marinade und eine zerhackte rote Chili, von einer superscharfen Sorte, die in dieser Weltgegend Affenpipí genannt wird.

Auf dem Plastikteller serviert wird nun eine Vitamin- und Eiweißbombe, dazu ein Schnitz Süßkartoffel und gerösteter Riesenmais. Es ist ein Ceviche – Perus kaltes Nationalgericht, das längst seine Weltkarriere angetreten hat bis Paris, Peking, Petersburg. Heere von Sterneköchen mögen sich mühen, mit erlesenem Meeresgetier, gefinkelten Schnitten und gewagten Zutaten experimentieren, aber sie werden's schwer besser hinkriegen als Doña Teresa, die seit Jahrzehnten täglich Seezungen, Zwiebeln und Affenpipí in Limettensaft mariniert (die Säure bewirkt dasselbe, als würde der Fisch gedünstet, sie denaturiert das Eiweiß, so wird der Fisch kalt „durch“). Ihre Cevichería ist am Strand von Puerto Pizarro in Nordperu. Weil vor der Mangrovenküste eine tropische Meeresströmung auf den kalten Humboldtstrom trifft, sind die Wasser hier die artenreichsten Südamerikas und Teresas Ceviche das frischeste der Welt.

Etwa einen Euro nimmt sie für eine Portion Glück. Um die schöne Story zu verderben, könnte man jetzt hygienische Details erwähnen, etwa den Farbkübel, wo Besteck, Geschirr und das nicht rostfreie Fischmesser gespült werden. Aber wer sich fürchtet, verpasst viel in diesem Land des kulinarischen Dauerrauschs, Peru: Fusion aus Ozean, Wüste, Hochgebirge und Amazonas, aus indigenen, spanischen und afrikanischen Traditionen, angereichert mit Chinesen, Japanern, Kroaten, Italienern. Kostbar etwa am Straßenrand nahe der Inkahauptstadt Cusco, wo Meerschweine (Cuy) am Spieß über Holzkohle rösten, eingerieben mit Salz, Öl und Knofel, die Bäuche voll Huacatay, einem Kraut, das die Frische der Minze mit der Stärke von Estragon vereint. Etwa acht Euro kostet so ein Nager.


Gringos tun sich gern grausen

Beim nördlichen Nachbarn Ecuador essen sie das auch, was für Gringos garstig aussieht. Ebenso wie die ganzen oder halben Schweine, die im Ofen gebraten oder roh bei Straßenständen liegen oder hängen, aus denen die Standlerin Fleisch und Schwarte würflig schneidet und mit Salzwasser trocken bis knusprig einkocht. Das nennt sich je nach Region etwa Fritadas oder Chugchucaras. Dazu Mais, Süßkartoffeln, Kochbananen und gewiss die Chilisauce Ají!

Der Mercado San Pedro jedenfalls, die alte Markthalle Cuscos, ist zur Hälfte Schnellrestaurant, wo Frauen Suppen und Eintöpfe kochen, meist auf Basis der vielen Kartoffelsorten des Hochlands. Nie fehlen Koriander und Chili. Zur Mittagszeit sind die Bänke voll Bürovolk, Arbeitern und Backpackern. Für fünf Euro kriegt man Suppe und Hauptspeise, dazu zwei, drei Saucen, pikant und potenziell abführend, zumindest für Ortsfremde. Laut Marktforschung essen 39 Prozent der Bewohner Limas mindestens einmal pro Woche auf der Straße, 60% davon sagen, die „comida al paso“ schade nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.04.2017)

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