Sowjetblocks sollen Hochhäusern weichen

In Moskau sollen die alten Chruschtschowki (im Vordergrund) neuen Wohntürmen Platz machen.
In Moskau sollen die alten Chruschtschowki (im Vordergrund) neuen Wohntürmen Platz machen.(c) REUTERS (SERGEI KARPUKHIN)
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Ein Megaprojekt sieht den Abriss mehrerer tausend Wohnblocks vor. Doch Bewohner fürchten die Folgen der Umsiedlung und fehlende Rechtssicherheit.

Moskau/Wien. Im Vergleich zu den Jahrhundertwendehäusern aus der Zarenzeit und den pompösen wie stuckverzierten Repräsentativbauten der Stalinära sind sie auf dem Wohnungsmarkt nicht besonders beliebt: die sogenannten Chruschtschowki, Wohnblocks in Plattenbauweise, die Sowjetführer Nikita Chruschtschow errichten ließ.

Gebaut in großer Zahl und in großer Eile sind sie vor allem für ihr monotones Äußeres, ihre dünnen Wände und geringe Zimmergröße bekannt und gefürchtet. Dass viele von ihnen nun in einem Modernisierungsprojekt der Moskauer Stadtverwaltung abgetragen werden sollen und Neubauten – richtig hohen Hochhäusern – Platz machen sollen, trifft dennoch nicht auf ungeteilte Freude der Hauptstadtbevölkerung.

Das „Programm zur Erneuerung des Wohnraums Moskaus“ von Bürgermeister Sergej Sobjanin sieht vor, bis zu 8000 Gebäude mit einer Gesamtfläche von 25 Millionen Quadratmeter zu entfernen – ein Zehntel der gesamten Wohnfläche der russischen Hauptstadt. Etwa 1,6 Millionen Menschen sind von der Schleifung der größtenteils vier- bis fünfstöckigen Chruschtschowki betroffen, die vorwiegend in den Jahren 1957 bis 1968 gebaut wurden.

Das russische Parlament hat am 20. April in einer ersten Lesung mehrere Gesetzesentwürfe abgesegnet, die das Projekt auf den Weg bringen sollen; die zweite Lesung, vor der noch Abänderungen möglich sind, ist für die zweite Maihälfte geplant.

Seit der Plan publik geworden ist, herrscht in Moskau Unruhe. Denn viele Einzelheiten des Megaprojekts sind noch nicht ausformuliert. Noch ist nicht klar, welche Gebäude überhaupt vom Abriss bedroht sind. Demnächst werden die Stadtbehörden eine Liste der zur Schleifung vorgesehenen Wohnblöcke vorlegen. Von Mitte Mai bis Anfang Juli sollen die betroffenen Wohnungsinhaber über eine Internetseite abstimmen, ob sie den Abriss ihres Blocks befürworten oder nicht. Zwar versprechen die Stadtbehörden, die Meinung der Bewohner zu berücksichtigen. Von der Tageszeitung „Kommersant“ befragte Juristen warnen, dass eine Umfrage weder die rechtliche Grundlage für die Schleifung bilden könne noch in den bisherigen Gesetzesänderungen als Instrument genannt werde.

Erzürnte Bürger, überforderte Beamte

In Informationsveranstaltungen in betroffenen Stadtteilen gingen in den vergangenen Wochen die Wogen hoch. Medien berichteten von überfüllten Versammlungen, erzürnten Bürgern und überforderten Behördenvertretern. Viele Bewohner befürchten eine Verschlechterung ihrer Wohnsituation – etwa, keine gleichwertige Ersatzimmobilie in ihrem Bezirk zu erhalten und in einen der neuen Wohntürme an den Stadtrand gedrängt zu werden.

Die Proteststimmung hat bereits den russischen Präsidenten, Wladimir Putin, den Initiator des Projekts, zu öffentlicher Kritik in Richtung Beamte und Abgeordnete veranlasst. „Ich werde nichts unterzeichnen, das – so wie es zum jetzigen Zeitpunkt vorliegt – gegen das Gesetz und die Bürgerrechte verstößt“, sagte er in der Vorwoche der Agentur Interfax zufolge. „Alles muss im freiwilligen Einverständnis mit den Bürgern umgesetzt werden“, forderte der Präsident. Die Distanzierung von den „unfähigen“ Beamten ist eine erprobte Machttechnik Putins, das Signal: Räumt gefälligst auf!

Was als Prestigeprojekt der Behörden gedacht war, könnte sich zum Risiko für die für März 2018 geplante Präsidentenwahl entwickeln. Die Großstädter zählen zu den regierungskritischsten Wählern. Das Leben in den Chruschtschowki mag beengt sein, aber es steht doch unter dem Schutz der Privatheit. Sollte sich das Gefühl durchsetzen, dass nicht einmal die eigenen vier Wände vor dem Staat sicher sind, dann könnte die Modernisierung nach hinten losgehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2017)

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