Selbst gebauter Sprengsatz explodiert in Londoner U-Bahn

Großeinsatz in der Londoner U-Bahn.
Großeinsatz in der Londoner U-Bahn.REUTERS
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Nach der Explosion im Westen Londons ist Panik ausgebrochen. Die Polizei stuft den Vorfall als "terroristisch" ein. 22 Menschen wurden verletzt. Der Täter soll bereits von den Ermittlern identifiziert worden sein.

Zum fünften Mal innerhalb eines halben Jahres ist Großbritannien von einem Anschlag getroffen worden: Bei einer Bombenexplosion in der U-Bahn wurden am Freitag mindestens 22 Menschen verletzt. Scotland Yard stufte den Vorfall als "terroristisch" ein. Premierministerin Theresa May sagte, hinter dem "feigen Angriff" stecke zerstörerische Absicht. Zunächst bekannte sich niemand zu der Tat.

Der Sprengsatz detonierte am Freitagmorgen um 08.20 Uhr Ortszeit (09.20 Uhr MESZ), mitten im Berufsverkehr, wie der Chef der Anti-Terror-Abteilung der britischen Polizei, Mark Rowley, bekannt gab. Nach seinen Angaben war die Bombe selbst gebaut. Sie explodierte in der U-Bahn-Station Parsons Green im Südwesten Londons in einem Waggon. Nach Angaben des Senders Sky News wurde ein Verdächtiger durch die Auswertung von Überwachungsvideos identifiziert.

Regierungschefin May sagte nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts in einer Fernsehansprache: "Der Sprengsatz sollte enorme Schäden anrichten." Sie sprach von einem "feigen Angriff". Sky News berichtete unter Berufung auf die Polizei, die Bombe sei nicht vollständig detoniert, so dass Schlimmeres verhindert worden sei. May kündigte an, den oder die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. "Die Polizei tut alles, um die Täter zu identifizieren", sagte May am Freitagnachmittag der BBC. Sie appellierte an die Bevölkerung, sich möglichst normal ihrem Alltag zu widmen.

Nach dem Treffen des höchsten britischen Sicherheitskomitees, dem sogenannten Cobra, werde die Terrorwarnstufe vorerst nicht erhöht, sagte May. Die Lage wird dem Inlandsgeheimdienst MI5 zufolge derzeit als "ernst" ("severe") eingestuft, die zweithöchste von insgesamt fünf Terrorwarnstufen in Großbritannien.

Der Nationale Gesundheitsdienst teilte mit, 22 Menschen seien verletzt worden. Zunächst war von 18 Opfern die Rede gewesen. Der Londoner Bürgermeister Sadiq Kahn rief die Bürger zur Ruhe und Wachsamkeit auf.

Panik in der U-Bahnstation nach Knall

An der Fahndung nach den Tätern beteiligte sich neben der Polizei auch der Inlandsgeheimdienst MI5. Angaben von US-Präsident Donald Trump, die Attentäter seien im Vorfeld "im Visier von Scotland Yard" gewesen, bestätigten die britischen Behörden nicht. Die Londoner Polizei sprach von einer "nicht hilfreichen Spekulation".

Augenzeugen berichteten, einige Passagiere seien mit schweren Verbrennungen und blutüberströmt aus der U-Bahn im bürgerlichen Wohnviertel Fulham gekommen. Eine Reporterin der Zeitung "Metro" sagte, ein weißer Behälter sei in dem Waggon explodiert. Passagiere hätten schwere Verbrennungen im Gesicht erlitten.

Auf Twitter veröffentlichte ein Nutzer Fotos von einem schwelendem weißen Eimer in einer U-Bahn, er schrieb von einem "Feuerball". Die BBC-Korrespondentin Riz Lateef, die sich in der U-Bahn befand, berichtete von Panik, als die Leute aus der Bahn gerannt seien.

Augenzeugenberichte

"Ich telefonierte gerade und hielt mein Gesicht seitlich zum Ort der Explosion", sagte Fahrgast Peter Crowley der BBC. Plötzlich habe er einen extrem heißen "Feuerball" über seinem Kopf gespürt.

Auf den Bildern erkennt man Brandwunden in Crowleys Gesicht sowie versengte Haare. "Es gab Menschen, die sahen deutlich schlimmer aus als ich", sagte er.

Die 18-jährige Rachel Green sagte dem Sender, sie habe während ihrer Arbeit in einem Café nahe der Station einen lauten Knall gehört. Anschließend seien verstörte Menschen aus dem oberirdisch gelegenen U-Bahn-Gebäude geströmt. "Es waren mehr als 100 - Frauen kamen heraus ohne Schuhe, angeschlagen und zerschrammt." Sie habe auch Mütter mit kleinen Kindern gesehen - "es war Schulbeginn", sagte Green.

Ein anderer Passagier namens Lucas sagte im Radiosender BBC 5 Live: "Ich habe eine richtig laute Explosion gehört." Er habe Menschen mit Verletzungen gesehen, "Verbrennungen im Gesicht, an den Armen, Beinen". Die 29-jährige Nicole Linnell sagte der Nachrichtenagentur PA, "etwa 30 bis 40 Leute" seien die Gleise entlang gerannt. "Es war total entsetzlich."

In der U-Bahn und um die Station herum waren bewaffnete Polizisten mit Spürhunden im Einsatz. Der U-Bahnhof und ein Teilabschnitt der U-Bahnlinie wurden gesperrt. Die Polizei kündigte für das Wochenende verschärfte Sicherheitsmaßnahmen für die Hauptstadt an.

In Großbritannien hatten Islamisten seit März vier Anschläge verübt, bei denen insgesamt 35 Menschen getötet und zahlreiche weitere verletzt wurden. Drei Attentate ereigneten sich in London, das vierte und schwerste in Manchester. Dort riss ein Selbstmordattentäter nach einem Pop-Konzert der US-Sängerin Ariana Grande im Mai 22 Menschen mit in den Tod.

Internationale Solidarität

Der Präsident des Europaparlaments, Antonio Tajani, drückte den Opfern am Freitag sein Mitgefühl aus. "Terrorismus kennt keine Grenzen und wird besiegt, indem man zusammenarbeitet", erklärte Tajani auf Twitter. Auch die deutsche Regierung äußerte ihre Besorgnis.

US-Präsident Donald Trump rief zu einem härteren Vorgehen gegen Extremisten auf. Terroristen wie die in London seien Verlierer ("loser"), twitterte Trump. In einem zweiten Tweet schrieb Trump, das Internet sei das wichtigste Rekrutierungswerkzeug der Terroristen: Dieses müsse "abgeschnitten und besser genutzt" werden. Bei den Terroristen handle es sich um kranke und verrückte Leute, die die Polizei von Scotland Yard bereits im Auge gehabt habe. "Müssen proaktiv sein!", schrieb Trump. Der US-Präsident irritierte mit dieser Aussage offnebar die britischen Behörden: Die Londoner Polizei bezeichnete den Kommentar des US-Präsidenten als "nicht hilfreiche Spekulation". Nick Timothy, der frühere Stabschef von Premierministerin Theresa May, zeigte sich überzeugt, dass Trump nicht wisse, wovon er rede.

Im März war ein Attentäter auf der Londoner Westminster-Brücke mit einem Auto gezielt in Fußgänger gerast, bevor er einen Polizisten auf dem Gelände des Parlaments niederstach. Fünf Menschen starben.

Bei einem Bombenattentat auf die Besucher eines Konzerts in Manchester im Mai starben 22 Menschen. Acht Menschen verloren ihre Leben bei einem Angriff auf das Londoner Ausgehviertel Borough Market und die London-Bridge. Ein Mann kam bei einem Angriff auf Moschee-Besucher Ende Juni in London ums Leben.

(APA/Reuters/AFP/dpa)

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