Zur Nachlese: Eine statistische Ausreißerin

Sonja Hammerschmid: „Warum tun wir uns so schwer, Lehrern Respekt zu zollen?“
Sonja Hammerschmid: „Warum tun wir uns so schwer, Lehrern Respekt zu zollen?“ Die Presse
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Die Lehrerinnen und Lehrer sind Schlüsselpersonen für die Zukunft unserer Kinder. Und sie waren für entscheidende Weichenstellungen in meinem Leben mitverantwortlich.

Diesen Text schrieb Sonja Hammerschmid im März - zum siebenten Geburtstag der "Presse am Sonntag".

Wenn es nach aktuellen Bildungsstudien ginge, hätte ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht maturiert, geschweige denn ein Studium abgeschlossen. In regelmäßigen Abständen zeigen statistische Auswertungen, dass der Bildungsabschluss in Österreich von jenem der Eltern abhängt. Bildung wird sprichwörtlich vererbt. Meine Eltern waren keine Akademiker, hatten nicht einmal die Matura, sondern absolvierten nach der Pflichtschule eine Berufsausbildung. Wie kam es also, dass meine Laufbahn so anders verlief als jene meiner Eltern? Warum wurde ich zur „statistischen Ausreißerin“?

Ich wuchs in einer kleinen Marktgemeinde mit knapp 2000 Einwohnern im Mühlviertel auf. Meine Bildung begann Mitte der 1970er-Jahre in einer Volksschule, wie sie vermutlich in vielen ländlichen Gegenden Österreichs zu finden war und heute noch zu finden ist. Die Volksschule befand sich im Ortszentrum, was den Stellenwert der Schule architektonisch sehr schön verdeutlicht. Der dazumal relativ moderne Neubau beheimatete vier Klassen. Alle schulpflichtigen Kinder im Ort, egal ob die Tochter des Gemeindearztes, der Unternehmersohn oder die Kinder der umliegenden Bauernhöfe, besuchten gemeinsam die einzige Volksschule.


Gelebte Gesamtschule. Ein bunter Haufen von Kindern, ungeachtet ihrer sozialen Herkunft, war auch typisch für die vier Klassen Hauptschule, die ich anschließend besuchte. Die Frage nach einem Gymnasium stellte sich mangels Alternativen weder für mich noch für meine Mitschülerinnen und Mitschüler aus der Volksschule. Das nächstgelegene Gymnasium lag fast 50 Kilometer entfernt. So verbrachten wir Kinder aus dem Ort die ersten acht Schulstufen, also bis ins Alter von 14 Jahren, gemeinsam. Wir lebten die Gesamtschule mit gleichen Bildungschancen, wenngleich damals niemand den Begriff verwendete oder an die damit verbundene politische Ideologisierung dachte.

Doch es war nicht der Schultyp, der mich und meinen weiteren Bildungs- und Lebenslauf so entscheidend prägte. Es waren vielmehr die Menschen in der Schule, die es verstanden, in mir die Begeisterung und Neugier für Neues zu wecken und meine Talente zu fördern. Meine Lehrer übten ihren Beruf mit Hingabe aus und setzten sich für uns Schülerinnen und Schüler ein. Mein Volksschullehrer gestaltete seinen Unterricht aus heutiger Sicht völlig innovativ, er ersparte uns sogar die täglichen Hausübungen. Wir Kinder freuten uns, die Eltern wunderten sich, vertrauten aber dem Lehrer.

In der Hauptschule zeigten meine Lehrkräfte viel Kreativität, um mich in meinen Interessen zu bestärken. Wenn es der Sache dienlich war, wurde auch mal der Lehrplan über Bord geworfen. Das individuelle Eingehen auf meine Talente gab mir die Freiheit, mich im Einklang mit meinen Stärken zu entfalten und weiterzuentwickeln.

Ich habe also meinen Lehrerinnen und Lehrern wirklich viel zu verdanken. Sie waren für entscheidende Weichenstellungen in meinem Leben mitverantwortlich, wie den Besuch des Oberstufengymnasiums und das folgende naturwissenschaftliche Studium. Egal in welcher Schulstufe, das Augenmerk meiner Lehrer galt immer den individuellen Stärken. Niemand hielt sich unnötig mit meinen Defiziten auf.

Was logisch klingt, ist leider in unserem (Schul-)System nicht selbstverständlich, wo durch das verbissene Beheben von Schwächen Chancen verbaut werden und Talente verkommen. Natürlich waren es auch meine Eltern, die mich in meinen Vorhaben immer unterstützten und mir meine Ausbildung, insbesondere mein Studium ermöglichten. Bildung war für sie ein krisenfestes Startkapital ins Leben. Sich an der individuellen Begabung und Begeisterung zu orientieren und nicht primär an den Aussichten auf dem Arbeitsmarkt, das erscheint mir bei Berufs- und Ausbildungsfragen als zentral.


Schlüsselperson Lehrer. Für mich ist der Lehrerberuf eine der anspruchsvollsten Aufgaben, die es in unserer Gesellschaft gibt. Lehrerinnen und Lehrer verdienen unsere volle Wertschätzung und Unterstützung. Gerade in der Flüchtlingsthematik werden Schule und Lehrer den Erfolg von Integration wesentlich mitbestimmen. Warum tun wir uns so schwer, ihnen den nötigen Respekt zu zollen? Es sollte uns zu denken geben, dass diesen Schlüsselpersonen für die Zukunft unserer Kinder unsere Anerkennung immer wieder vorenthalten wird. Was sagt das über den gesellschaftlichen Stellenwert von Bildung?

Allzu schnell wird die im europäischen Vergleich zu geringe Akademikerquote Österreichs den Universitäten angelastet. Der freie Hochschulzugang kann aber nicht wiedergutmachen, was vom Schulsystem verabsäumt wurde. Ja, unser Stipendiensystem gehört dringend erneuert und besser finanziert, weil wir sonst Gefahr laufen, zusätzliche Hürden für einkommensschwache Studierende zu schaffen. Aufnahmeregelungen insbesondere für sehr stark nachgefragte Fächer sind aufgrund der limitierten Finanzmittel und im Sinne der Bildungsqualität notwendig.

Aufnahmeverfahren müssen jedoch auf Eignung der Studierenden und nicht auf ihre soziale Herkunft abzielen. Apropos Eignung: Aus meiner persönlichen Erfahrung kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass die Qualifikation für eine Aufgabe wie den Lehrerberuf weitreichende Konsequenzen haben kann. Wer weiß, hätte ich das Glück hochengagierter Lehrer als wichtiger Weichensteller nicht gehabt, ich hätte – zumindest statistisch gesehen – die Einladung zu diesem Kommentar vielleicht nie erhalten.

Zur Person

Sonja Hammerschmid, geboren 1968 in Steyr in eine Nicht-Akademi-kerfamilie, ist seit 1. Jänner Präsidentin der Österreichischen Universitätenkonferenz.

Ab 1986 studierte sie an der Uni Wien Biologie, 1995 promovierte sie zur Doktorin der Naturwissenschaften.

Nach Forschungstätigkeit wechselte sie in die Wirtschaft, wo sie u. a. den Bereich Technologie und Innovation der Austria Wirtschaftsservice GmbH (AWS) leitete.

Seit 2010 ist Hammerschmid Rektorin der Veterinärmedizinischen Universität Wien. 2013 wurde sie einstimmig für eine weitere Amtsperiode bestätigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.03.2016)

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