Ganztagsschule. Ein Plädoyer für ein verschränktes Modell, und keine bloße Nachmittagsbetreuung.
Die Abneigung gegen eine verpflichtenden Ganztagsschule ist groß im konservativen Lager. Der Staat dürfe nicht über das Familienmodell bestimmen; für Erziehung und Freizeitgestaltung seien immer noch die Eltern zuständig – so lauten nur zwei von vielen Argumente gegen die „Zwangstagsschule“ (Copyright ÖVP). Ganz unrichtig sind sich nicht.
Dennoch: Wer keine bloße Nachmittagsbetreuung will, sondern ein pädagogisch sinnvolles Modell, der muss auf eine verschränkte Ganztagsschule setzen. Und diese muss verpflichtend sein. Denn „Verschränkung“ bedeutet nichts Geringeres als die Neustrukturierung des Lernens. Im Zentrum stehen die Bedürfnisse der Schüler, nicht jene der Eltern: Die Ganztagsschule muss das Ende der aufeinanderfolgenden Lerneinheiten bedeuten, die nicht zum Lernrhythmus junger Menschen passen. Ziel ist ein kluger Mix aus Lern- und Regenerationsphasen, aus Freizeitgestaltung (von Kunst bis Sport) und Übungsphasen. Dafür müssen nicht nur die Gebäudestrukturen (siehe Artikel oben), sondern auch die Aufgaben der Pädagogen neu gedacht werden, die ganztägig (unter besseren Arbeitsbedingungen) in der Schule sind.Und, auch wenn man das Argument ungern hört: Die Ganztagsschule entspricht der Lebensrealität der meisten Österreicher. Die Zahl nicht berufstätiger Mütter (oder Väter), die Versäumnisse der „Halbtagsschule“ aufholen können, indem sie mit dem Kind am Nachmittag lernen, sinkt. Auch ein historischer Grund ist weggefallen: Die Halbtagsschule wurde nicht zuletzt deshalb eingeführt, damit Kinder nachmittags in der Fabrik oder auf dem Feld arbeiten konnten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.07.2011)