Fast ein Manifest!

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Wir halten ungebildete Leute für Trotteln. Wir halten darüber hinaus die meisten Leute, die sich selbst für gebildet halten, für ungebildet und werden bei so gut wie jedem Gespräch in unserem Urteil bestätigt.

Wenn wir gerade heraus kundtun, was wir unter Bildung verstehen, machen wir uns bei den Schönen und Erfolgreichen lächerlich, und deshalb geben wir uns präventiv arrogant. Und das ist gut so. Wir halten ungebildete Leute für Trotteln. Wir halten darüber hinaus die meisten Leute, die sich selbst für gebildet halten, für ungebildet und werden bei so gut wie jedem Gespräch in unserem Urteil bestätigt. Wir lesen Montaigne und üben uns, seiner Anleitung folgend, in distanzierter Betrachtung und ironischem Interesse an allem, was Phänomen ist, also an allem.

Wir lesen La Bruyère, Chamfort, Vauvenargues und La Rochefoucauld und bedauern, dass von diesen Denkern inzwischen nicht einmal mehr die Kolleginnen und Kollegen eine Ahnung haben, und führen die Gedankenarmut ihrer Prosa unter anderem darauf zurück. Wir wissen, dass wir so gut wie gar nichts wissen, und leiden darunter wie unter einem Entzug und bemühen uns täglich um Bildung und ärgern uns über jene, die sich zu den Geistesmenschen zählen und sich gleichzeitig über hohe Bücherpreise empören, wo man für Franz Kafkas Erzählungen doch ohne weiteres 1000 bis 2000Euro verlangen dürfte – wenn man das Preis-Leistungs-Verhältnis bedenkt.

Womit wir beim Punkt wären. Wozu braucht der Mensch Kafka? Nämlich zu gar nichts. Wozu braucht er Bildung? Ebenfalls zu gar nichts. Wer bei einem plötzlichen Bedürfnis nach Bildung nur danach greift, was er braucht, macht aus sich selbst einen, den man braucht. Der führt das Leben einer Zipfelmütze.


Wenn wir gerade heraus kundtun, was wir unter Bildung verstehen, machen wir uns bei denen, die sich politisch den Kopf zerbrechen, uninteressant. Was könnten sie für uns leisten? So gut wie gar nichts. Wir brauchen kein Stipendium, um unseren Hunger mit Reclams Universalbibliothek zu stillen. Wir wollen ein Mensch sein, der zu nichts nütze ist. Dazu brauchen wir nur Zeit. Es gibt kein Ministerium, das für Zeit zuständig ist.

Wer nützlich ist, ist für jemandennützlich – in den meisten Fällen. Georg Büchner hat an einer Dissertation über die Schädelnerven der Fische gearbeitet, bevor der an Typhus starb. Womöglich hat er sich an einem Präparat infiziert. Wenn ja, hat ihm seine Forschung eindeutig geschadet. Was nützt es uns, wenn wir davon Kenntnis haben? Gar nichts. Und lebte Büchner heute, was würde es ihm nützen, über die Schädelnerven der Fische Bescheid zu wissen? Gar nichts. Diese Wissenschaft ist Grundlagenforschung, die sich nicht einmal über ein halbes Dutzend Umwege rentiert. Eine Aufführung von Dantons Tod hingegen rechtfertigt sich mit „Umwegrentabilität“ – was für eine Schande, pfui Teufel!


Wenn wir gerade heraus kundtun, was wir unter Bildung verstehen, ernten wir Kopfschütteln bei jenen, die von Geld eine Ahnung haben. Nehmen wir die Salzburger Festspiele. Dort sitzen sie, feiste Hüfte an feister Hüfte, und lassen sich von Hofmannsthal die Leviten lesen. Vor einem Jahr war ich eingeladen, den Narren zu spielen – für ordentlich Geld. Da habe ich den Gestopften die mythologischen Hintergründe zu Elektra erzählt. Glauben Sie, einer von denen hätte mir einen Ratschlag gegeben, wie ich meine Moneten über die Krise in Sicherheit bringe? Nichts da! Da wurde mir bewusst, dass diese Turnhalle voll angelesenem Wissen in meinem Kopf nicht einmal zu einem Frühstück im Hotel Imperial reichen würde, wenn es hart auf hart kommt. Dann werden die Zeiten, in denen für die Verachtung des Geldes bezahlt wurde, vorbei sein.

Allerdings – so habe ich mir von Überlebenden sagen lassen – nach der Katastrophe verlangt es den Menschen wieder nach Kultur. Eine Arie oder ein Gedicht kann einen daran erinnern, dass wir mehr sind als Fressmaschinen und Werbeträger. Das vergisst man, solange die Fressmaschine rennt und auf dem Werbeträger noch Platz ist.


Wenn wir gerade heraus kundtun, was wir unter Bildung verstehen, können wir jenen nicht widersprechen, die uns für arrogant halten. Der Mensch fängt dort an, wo er sich nicht nach jedem Zehner bückt. Wann haben Sie zum letzten Mal ein Gedicht gelesen? Warum ist es so lange her? Hat es Ihnen nicht gefallen? Warum haben Sie nicht nach einem gesucht, das Ihnen mehr entspricht? Warum haben Sie nicht versucht, selbst ein Gedicht zu schreiben? Ich mach mir ja auch ein Spiegelei, wenn ich Hunger habe. Sie versäumen das Beste, wenn Sie auf Dinge verzichten, die Sie nicht brauchen können.

Wir haben einen Wissenschaftsminister, der ist Altphilologe. Also ist Hopfen und Malz noch nicht verloren!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2011)

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