„Wir sind das einzige EU-Land ohne Ethikunterricht!“

Edith Riether, Generalsekretärin der „Initiative Weltethos“, über die Pisa-Relevanz und die Präventivwirkung von Ethikunterricht.

Die Presse: Welches Ziel hat die Initiative Weltethos für den Ethikunterricht in österreichischen Schulen?

Edith Riether: Die Schulversuche existieren bereits seit 1996. Letztes Jahr waren es insgesamt zirka 120 Schulen, die Ethik angeboten haben. Unser Ziel ist, dass der Ethikunterricht ins Regelschulwesen übernommen wird und zwar als alternatives Pflichtfach.

Wann begann die Diskussion über Ethik als Schulfach?

Riether: Heide Schmidt war die erste Vertreterin einer Partei, die Ethik als Schulfach im Parlament verlangt hat. 1992 gründete ich den Verein Initiative Weltethos. Damals habe ich Pro und Kontra des Ethikunterrichts in einer umfassenden Arbeit dargestellt. 1996 konnte ich diese Arbeit der Ministerin Gehrer überreichen. Sie erklärte, sie hätte nichts gegen den Ethikunterricht, sie bräuchte nur einen Lehrplan. Da habe ich ihr gesagt: Das ist der Lehrplan!

Wie sieht der Lehrplan aus?

Riether: Wir nehmen das Projekt Weltethos von Hans Küng als Grundlage. Darin wurde nachgewiesen, dass es bei religiösen und nicht religiösen Gruppen eine Übereinstimmung der wichtigsten ethischen Prinzipien gibt: Jeder Mensch soll menschlich behandelt werden, die goldene Regel (Anm: „Tue anderen, was du willst, dass sie dir tun“), Ehrfurcht vor dem Leben, Gerechtigkeit und Fairness, Wahrheit und Ehrlichkeit, Achtung und Liebe. Weiters ist wichtig, dass die Integration von behinderten Menschen und Ausländern behandelt wird, ebenso wie die Erziehung zu den demokratischen Tugenden. Dann geht es um friedliche Konfliktlösung, es geht gegen Rassismus, gegen Antisemitismus und gegen Vorurteile. Wir streben auch an, dass die Lehrpläne vereinheitlicht werden.

Was geschah in der Politik weiter?

Riether: Ministerin Gehrer beauftragte den katholischen Religionspädagogen Anton Bucher, einen Evaluationsbericht zu erstellen. Danach werde sie eine Entscheidung treffen, was sie aber nie tat. Buchers Bericht war offenbar zu positiv. Wir bildeten einen Arbeitskreis, und es wurde erreicht, dass an den Universitäten und den Pädagogischen Instituten ein Ausbildungslehrgang für Ethiklehrer eingerichtet wurde. Wir haben damals an die Ministerin Gehrer und an sämtliche Bildungssprecher der Parteien einen Appell geschickt, der von prominenten Leuten unterzeichnet war. Niemand hat reagiert, das ist ungehört verhallt.

Wie sieht es aktuell aus?

Riether: Vor den Nationalratswahlen haben wir 3000 Unterschriften gesammelt. Da waren wieder viele Prominente dabei, die alle für den Ethikunterricht sind. Diese Unterstützungen hat unser Präsident Anton Pelinka im Mai 2007 der Ministerin Claudia Schmied überreicht. Sie hat es freundlich, aber unverbindlich entgegen genommen.

Wie reagiert die Kirche auf Ihre Bemühungen?

Riether: Die Kirche war lange Zeit dagegen, weil sie die Konkurrenz gefürchtet hat. Aber man konnte sie überzeugen, dass die stärkere Konkurrenz die Freistunde ist. Seither ist die Kirche nicht mehr dagegen.

Wo stoßen Sie auf Grenzen?

Riether: Das Enttäuschende ist, dass die Bildungsverantwortlichen das sogenannte „heiße Eisen“ nicht angreifen. Ich habe oft den Eindruck, dass keiner weiß, was Ethik ist. Es gibt nur eine Ethik, die zu allen Zeiten, an allen Orten und für alle Menschen gilt. Alle verlangen Ethik in der Medizin und in der Wirtschaft. Aber wenn der einzelne Mediziner oder Wirtschaftstreibende keine ethische Erziehung bekommen hat, dann wird es das nicht spielen! Was muss noch alles passieren, bis endlich etwas geschieht? Wenn ein 15-Jähriger einen 14-Jährigen niedersticht, dann kommen die Psychologen daher. Die können aber nur mehr reparieren! Ethikunterricht ist Prävention. Die Eltern müssten doch Interesse haben, dass die Kinder ethische Bildung erfahren.

Wie wird es weitergehen?

Riether: Der Ethikunterricht wird kommen, er muss kommen! Wir sind das einzige EU-Land, das keinen Ethikunterricht hat. Ich traue mir zu behaupten, dass die PISA-Studie besser ausfiele, wenn wir den Ethikunterricht hätten! Es geht ja darum, dass die Jugendlichen die Erwachsenen von morgen sind und vielleicht an Schalthebeln sitzen und Verantwortung tragen müssen. Sie sollten natürlich schon in der Schule lernen, dass jeder für sein Handeln verantwortlich ist und dass es eben auch Pflichten gibt und nicht nur Rechte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2007)


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