Kampf gegen den nächsten Kaiserschnitt

Kampf gegen naechsten Kaiserschnitt
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Viele Frauen, die ihr Kind auf dem OP-Tisch geboren haben, sind enttäuscht und haben gegen Widerstände zu kämpfen, wenn sie bei der nächsten Schwangerschaft eine natürliche Geburt erleben wollen.

Nach ihrem zweiten ungeplanten Kaiserschnitt war Kathrin Scheck auf einem Tiefpunkt: Den ersten hatte sie noch hingenommen, ihr Kind hatte Steißlage, lag also mit dem Hinterteil voran in der Gebärmutter. Doch als es bei der zweiten Geburt überraschend wieder zu einer Entbindung durch Bauchschnitt (Sectio) kam, war die heute 40-jährige Landschaftsgärtnerin und Landwirtin aus der Nähe von Stuttgart verzweifelt: „Ich fühlte mich um mein Geburtserlebnis betrogen und nicht wirklich als Mutter“, erinnert sie sich. Vor allem war sie enttäuscht, wahrscheinlich nie ein Kind natürlich gebären zu können. Doch schon bald nach diesem Schock begann in ihr ein Wunsch zu wachsen, von dem sie wusste, dass ihn viele nicht verstehen und vor dem viele Mediziner warnen würden: Ein drittes Kind wollte sie vaginal gebären. Doch bis dahin sollte es ein mühsamer Weg sein.


Kaiserschnitt als Trauma. Auf der Suche nach Literatur (bei der sie nicht fündig wurde) und „Leidensgenossinnen“ traf sie auf die Ärztin Ute Taschner, 39 Jahre, aus Freiburg, die damals ebenso zwei ungewollte Kaiserschnitte hinter sich hatte und gar nicht mehr an die Möglichkeit einer Spontangeburt bei einem weiteren Kind glaubte. Und als die beiden Frauen tatsächlich nach intensiver Vorbereitung ihr jeweils drittes Kind „normal“ geboren hatten, beschlossen sie, ein Buch darüber zu schreiben. Nun liegt es unter dem Titel „Meine Wunschgeburt“ vor, erschienen ist es im Verlag Edition Riedenburg, der 2007 schon mit dem Buch „Der Kaiserschnitt hat kein Gesicht“ für Diskussion gesorgt hat: 42 Prozent der dort befragten 162 Mütter gaben an, den ersten Kaiserschnitt als „Trauma“ erlebt zu haben, 34 Prozent litten danach unter Depressionen.

Das neue Buch ist aber nicht nur an die wachsende Zahl von Kaiserschnittmüttern gerichtet (die Sectio-Rate lag 2011 in Österreich bei 29 Prozent). Auch Frauen, die vor der ersten Geburt stehen, werden angesprochen, damit es erst gar nicht zu einer ungewollten Sectio kommt. „Wir wünschen uns, dass immer mehr Frauen – nicht nur nach Kaiserschnitt – gut informiert eine selbstbestimmte Geburt einfordern und diese auch im passenden Umfeld umsetzen können“, betont Ute Taschner.


Genau hinterfragen. Zunächst sollten die Frauen, so der Rat im Buch, genau hinterfragen, warum es überhaupt zum ersten Kaiserschnitt gekommen ist. Hätte es auch Alternativen gegeben oder war die Operation notwendig? Sind die Gründe von damals bei der jetzigen Geburt wieder vorhanden? Nach Meinung der Autorinnen, die die heutige Geburtshilfe grundsätzlich kritisieren, greifen Geburtsmediziner zu schnell zum Skalpell und überhaupt zu stark in den natürlichen Ablauf einer Geburt ein – sei es aufgrund strikter Leitlinien oder aus Angst vor gerichtlichen Klagen. Sie verweisen auf die Weltgesundheitsorganisation, die Kaiserschnittraten jenseits von zehn bis 15 Prozent für nicht gerechtfertigt hält.

Besonders wichtig ist für die Autorinnen, sich schon während der Schwangerschaft von einer Hebamme begleiten zu lassen und die Geburt mit Geburtshelfern „des Vertrauens“ gut vorzubereiten.

Dass es schwierig sein kann, solche zu finden, zeigen auch die Erfahrungsberichte im Buch. Manche Frauen sind nach einem Kaiserschnitt so verzweifelt, dass sie bei der nächsten Geburt neue Wege beschreiten: Eine Bäuerin hatte sogar nach fünf Kaiserschnitten ihr sechstes Kind in einem Geburtshaus vaginal geboren. Eine andere Frau brachte ihre Zwillinge zu Hause auf die Welt. Bei wieder anderen misslang der Versuch, „normal“ zu gebären. Und manche empfanden auch einen weiteren Kaiserschnitt als gutes Ende.


Risken ernst nehmen.
Um für die Gespräche mit zweifelnden Medizinern gerüstet zu sein, klärt das Buch umfassend über mögliche Komplikationen bei einer natürlichen Geburt nach Sectio auf, wie etwa über die Gefahr, dass die Narbe an der Gebärmutter reißt. Dieses Risiko ist laut Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zwar gering (0,06 bis zwei Prozent bei Querschnitt an der Gebärmutter), wenn es aber dazu kommt, kann es dramatische Folgen für Mutter und Kind haben. Die Autorinnen warnen davor, diese Gefahr zu verharmlosen, sodass etwa auch bei Frauen, die bereits einen Kaiserschnitt hatten, die Geburt künstlich eingeleitet wird, oder zu übertreiben und gleich präventiv wieder einen Bauchschnitt zu machen.

Die Erfolgsquoten machen zunächst Mut: Laut zuvor zitierter Leitlinie gelingt es im Durchschnitt 73 Prozent der Frauen mit einer Sectio in der Anamnese, bei der nächsten Geburt natürlich zu gebären, nach zwei oder mehreren Entbindungen via Bauchschnitt sind es noch immerhin ca. 68 Prozent. Diese Quoten beziehen sich aber nur auf Frauen, die vaginal gebären wollen und bei denen Mediziner nichts einzuwenden haben. Zahlen für Deutschland zeigen, dass 67 Prozent aller Frauen, die einen Kaiserschnitt hatten, ihr nächstes Kind wieder auf diese Weise entbinden. Der hauptsächliche Grund für eine primäre, also geplante Sectio ist laut Studie einer deutschen Versicherung (GEK-Kaiserschnittstudie 2006) mittlerweile ein vorangegangener Kaiserschnitt.

Dabei versichern viele Geburtshelfer – zumindest in der Theorie –, Frauen, die einen Kaiserschnitt hinter sich haben, zu einer natürlichen Geburt zu motivieren, wenn die Gründe, die zum ersten Kaiserschnitt geführt haben, nicht mehr vorliegen, und weitere günstige Bedingungen dazukommen: Das Kind soll beispielsweise nicht zu groß sein. Bei zwei Sectiones sind viele aber schon skeptischer.


Besser geplant. Vor allem hätte ihr Versuch, natürlich zu gebären, einen Nachteil, warnen einige Ärzte: Ein geplanter Kaiserschnitt bei nüchterner Patientin und ausgeruhtem OP-Team habe eine noch niedrigere Komplikationsrate als die sekundäre Sectio, die also im Verlauf der Geburt notfallmäßig durchgeführt wird, gibt Martin Langer, Geburtshelfer an der Medizinischen Universität Wien, zu bedenken. Auch sei dann – so zeigt eine Studie seiner Universität – die Zufriedenheit der Frauen höher als nach einem Notfallskaiserschnitt. Am zufriedensten waren demnach freilich jene, die ganz ohne Probleme natürlich geboren haben. Dann kamen im „Ranking“ die geplanten Kaiserschnitte. Unzufrieden waren jene, bei denen eine sekundäre Sectio durchgeführt werden musste. Frauen mit sehr schweren vaginalen Geburten zeigten sich am unzufriedensten mit dem Geburtserlebnis. Manche Frauen glauben gar nicht mehr daran, im Krankenhaussystem gebären zu können, sie wollen zu Hause ihr nächstes Kind kriegen. Ein heikler Grenzgang für Hebammen, die immer öfter mit dem Wunsch solcher Mütter konfrontiert werden, wie Margarete Hoffer bestätigt.


Heilende Hausgeburt?
Sie ist eine der wenigen Hebammen, die auch Frauen nach Sectio zu Hause betreuen. Das Hebammengesetz verbietet eine Hausgeburt ohne Arzt bei „jeder belastenden Vorgeschichte“ der Frau. Eine vorangegangene Kaiserschnittgeburt wird nicht direkt genannt. Für die Präsidentin des Hebammengremiums, Petra Welskop, ist das Gesetz klar genug. Für andere, wie etwa Hoffer, ist es ein „Graubereich“.

Die Wiener Hebamme Hoffer betont, klare Qualitätskriterien zu haben, nach denen sie entscheidet, ob eine Hausgeburt möglich ist. Zu Hause könne sie die Frauen intensiv betreuen, es gebe keinen Zeitdruck, es kämen keine schmerzstillenden Medikamente zum Einsatz, die erste Anzeichen eines Gebärmutterrisses überdecken könnten.

So könne sie sofort reagieren, bevor eine Komplikation auftrete, erklärt sie: „Meiner Erfahrung nach haben diese Frauen noch am harmonischsten zu Hause geboren. Diese Geburt aus eigener Kraft hat für sie eine immens heilsame Wirkung.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.09.2012)

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