Ältere Eltern – oder: Die "Rushhour" des Lebens

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Obwohl der Kinderwunsch bei den meisten Österreichern unverändert hoch ist, werden dennoch weniger Kinder geboren als noch vor drei Jahrzehnten. Eine Studie hat versucht, etwas Klarheit zu bringen.

Die Biologie ist nicht daran Schuld, dass wir in den reichen Industrieländern weniger Nachkommen haben als noch vor einigen Jahrzehnten. Frauen werden heute durchschnittlich zwischen dem 12. und 13. Lebensjahr geschlechtsreif – um ein bis zwei Jahre früher als vor 30 Jahren. Das Ende der Fruchtbarkeit, die Menopause, liegt unverändert bei durchschnittlich 51 Jahren. Es gebe keine Hinweise, dass die Fruchtbarkeit von Frauen oder die Samenqualität von Männern heute niedriger wäre als früher, wird in dem Forschungsbericht „Zukunft mit Kindern“ betont, der Anfang dieser Woche in Wien vorgestellt wurde.

Die 473 Seiten dieses Wälzers sind daher größtenteils anderen Faktoren gewidmet, die für den Rückgang der Fertilität verantwortlich sind. Diese können in verschiedensten Fachgebieten verortet werden – in der Demografie, der Soziologie, der Psychologie, der Ökonomie, den Geschichtswissenschaften oder der Medizin. Eine der wesentlichsten Aussagen der interdisziplinären Zusammenarbeit: Der Rückgang der Geburtenrate hing eng mit dem Aufschieben von Geburten in ein höheres Lebensalter zusammen. Während 1980 das Alter von Frauen bei der Erstgeburt bei knapp 24 Jahren lag, so beträgt es aktuell in Österreich 27,8 Jahre, in Westdeutschland 28,7 Jahre, in der Schweiz sogar 29,6 Jahre. Oder anders ausgedrückt: Vor 30 Jahren wurde nur jede 16. Geburt von einer Mutter verzeichnet, die das 35. Lebensjahr überschritten hat; heute ist es jede vierte Geburt.

Die Ursachen dafür sind vielfältig. Als wichtigste Faktoren gelten Veränderungen im Lebenslauf der Menschen: etwa die Ausweitung der Ausbildungszeiten, der spätere Eintritt in das Erwerbsleben oder eine spätere feste Bindung an einen Partner. Gestiegen sind aber auch die Ansprüche – an die persönliche Entwicklung und an das Kindeswohl. Eltern legen heute mehr Wert darauf, ihren Kindern Zuwendung, optimale Betreuung, solide Ausbildung etc. angedeihen zu lassen.


Höhere Ansprüche.
Gleichzeitig wollen sie ihren eigenen (emotionalen) Nutzen maximieren und den Aufwand dafür minimieren – schließlich seien Kinder „für die meisten Menschen die teuerste Investition ihres Lebens“, heißt es in der Studie. „Da der materielle und emotionale Aufwand für Kinder angewachsen ist, ist aus ökonomischer Sicht gut nachzuvollziehen, warum das Alter bei der Familiengründung in den vergangenen Dekaden gestiegen ist“, schreiben die Forscher.

Wesentlich sind aber auch psychologische und soziologische Faktoren. Entscheidungen über Kinder werden überwiegend im Rahmen etablierter Partnerschaften getroffen – was kein Widerspruch dazu ist, dass es eine Entkopplung von Ehe und Elternschaft gibt. Belegt ist etwa, dass in trennungsgefährdeten oder instabilen Partnerschaften weniger Kinder geboren werden. Auch die sozialen Netzwerke, in die ein Paar eingebettet ist, spielen eine große Rolle – durch die Vorbildwirkung und die Etablierung sozialer Normen. So kann ein kinderfreundliches Umfeld Entscheidungen für eine Nachkommenschaft erleichtern, umgekehrt ist es genauso möglich, dass Kinderlosigkeit im Umfeld eines Paares als Leitbild verankert wird.

Wie dem auch sei: Von den meisten Paaren wird die Entscheidung für oder gegen Kinder als eine große Weichenstellung im Leben empfunden, die heute unter größerem Zeitdruck getroffen werden muss als früher (da wegen der späteren Elternschaft das „reproduktive Zeitfenster“ verkleinert ist). Dieses Zeitfenster – ungefähr zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr – wird von Experten auch als „Rushhour“ des Lebens bezeichnet, da zeitgleich viele andere Entscheidungen getroffen werden müssen und andere wichtige Prozesse ablaufen – von der Etablierung im Berufsleben bis hin zur Wahl bzw. Schaffung des Wohnorts.

Biologie und Medizin spielen natürlich ebenfalls eine Rolle bei der späteren Elternschaft: Mit zunehmendem Lebensalter sinkt bekanntlich die Wahrscheinlichkeit für eine erfolgreiche Schwangerschaft. Bei Frauen nimmt die Zahl und Entwicklungsfähigkeit von Eizellen mit dem Alter stark ab. Im 35. Lebensjahr liegt die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft um 40 Prozent niedriger als mit 22, im Alter von 40 ist sie um den Faktor zehn geringer. Bei Männern sinkt ab dem 40. Lebensjahr die Samenqualität. Beide Faktoren tragen dazu bei, dass es vermehrt zu Problemen kommt – von Fehlgeburten über niedriges Geburtsgewicht und schwangerschaftsbedingte Krankheiten (Bluthochdruck, Diabetes mellitus) bis hin zu genetischen Anomalien.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass man fast alle Effekte einer späten Schwangerschaft medizinisch kontrollieren könne – mit Ausnahme der häufigeren Mehrlingsgeburten. Demnach könnten auch gesunde Frauen über 35 komplikationslose Schwangerschaften erleben, wenn die Risiken rechtzeitig erkannt und optimal betreut werden. Die Experten betonen jedenfalls, dass die moderne Reproduktionsmedizin keine geeignete Maßnahme sei, um die sinkenden Geburtenzahlen auszugleichen. Sie kann aber ein Mittel dafür sein, um einen Kinderwunsch spät, aber doch noch zu realisieren. Der Kinderwunsch ist nämlich unverändert vorhanden. Allerdings heißt es in der Studie auch, dass die in Mitteleuropa in Umfragen häufig erhobene Wunschzahl von zwei Kindern wahrscheinlich zu hoch sei. Sicher ist sie jedoch höher als die gemessenen Geburtenraten – derzeit je nach Messmethode 1,44 oder 1,62 Kinder je Frau (siehe unten).

Die Frage stellt sich, ob der Kinderwunsch trotz der späteren Erstgeburt nachgeholt werden kann? Hier geben die Forscher eine differenzierte Antwort: In den deutschsprachigen Ländern werden die Kinder, die man zwischen 20 und 30 nicht bekommen hat, in höherem Alter nicht nachgeholt. Das gelte insbesondere für eine dritte oder vierte Geburt. In Zahlen: In Österreich liegt der dauerhafte Fertilitätsrückgang durch die Verschiebung von Geburten in höheres Alter bei 0,28 Kindern je Frau. Anderswo, etwa in Skandinavien, gelingt das Nachholen hingegen: In Schweden gehen (bei einer deutlich höheren Geburtenrate von fast zwei Kindern je Frau) nur 0,03 Kinder durch den Aufschub „verloren“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2013)

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