Tobias Meyer: "Kunst versteigern ist ein Schauspiel"

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Der ehemalige Sotheby's-Starauktionator Tobias Meyer gibt Einblicke in das Kunstgeschäft.

Er war der Starauktionator von Sotheby's. Unter seinem Vorsitz gingen manche Kunstwerke für zuvor nie dagewesene Preise weg: Picassos „Junge mit Pfeife“ 2004 für 104,2 Millionen Dollar, Edvard Munchs „Der Schrei“ 2012 für 119,9 Millionen Dollar. 20 Jahre blieb Tobias Meyer bei Sotheby's, setzte bahnbrechende Neuerungen durch – wie 1994 die Entscheidung, erstmals Nachkriegskunst in einer Abendauktion zu versteigern. So wollte er mehr Glamour erreichen – und es ging auf: Mit 7,5 Millionen Dollar schaffte er damals das beste Ergebnis seit dem Markteinbruch Anfang der 1990er-Jahre. Er erwarb sich einen derart guten Ruf, dass manche Kunden sich den Chefauktionator in den Vertrag schreiben ließen. Vor knapp einem Jahr verließ der 1963 in Frankfurt geborene Kunsthistoriker, der mit 14 Jahren nach Wien zog, überraschend das Auktionshaus und machte sich selbstständig. Seither ist es ruhig geworden um Tobias Meyer, er verkauft jetzt als Privathändler teure Kunst.

Diese Woche besuchte Meyer Wien. Im Kunsthistorischen Museum sprach er mit Jasper Sharp, Kurator am KHM, in entspannter Offenheit über das Kunstsammeln, über Geschmack und den konsumgetriebenen Markt und verriet einige Hintergrundgeschichten. Während sich Sharp über manche schnelle Karriere von Künstlern wie Alex Israel wundert, der mit banalen, pastellfarbig-bunten Abstrakten ohne eine einzige nennenswerte Ausstellung bereits auf eine Million Dollar hochgesteigert worden ist, erklärt Meyer die Strategie dahinter: Er habe Israel geraten, sich nicht vom Publikum abzuwenden – das sei ein gestriges Konzept.

Schöne, neue Selfie-Welt. Erfolgreich sind also die netten Kerle? Offenbar: „Die Kunstwelt von heute hat die rebellischen Künstler verschluckt.“ Die Zeit der Avantgarde ist vorbei, Kunst sei heute nicht mehr dubios, Schock und Provokation seien passé. Stattdessen können Künstler heute Teil „der machtvollen Elite“ sein und „denselben Starstatus erreichen wie Schauspieler“ – und genau das suche das Publikum: Die „Menschen in der Selfie-Welt“ wollen Stars.

Zählen dann überhaupt noch die Empfehlungen von Museumskuratoren und Kunstkritikern? Der Markt achte zwar noch auf Expertenurteile, aber wir leben in einer „post-taste world“, fasst es Meyer zusammen. Dazu passt auch die Beobachtung beider Diskutanten, dass neben großartigen Sammlungen oft erschreckend miserable Möbel stehen. Meyer erklärte es so: Handwerk sei nicht so bedeutend, und der Käufer suche nach Dingen mit „existenziellem Ausdruck“.

Wie aber ging er damit um, wenn er weniger relevante Werke versteigerte? „Es war mein Job, Kunst so teuer wie möglich zu versteigern – und es war immer auch ein Schauspiel. Ich war ja kein Kurator.“ Hinter die Kulissen blicken ließ Meyer auch zur Vorgeschichte seiner spektakulären Versteigerung von Mark Rothkos „White Center (Yellow, Pink and Lavender on Rose)“ (1950). Das Bild stammt aus der Sammlung David Rockefellers, wurde auf 40 Millionen geschätzt und von der königlichen Familie von Katar für 72,48 Millionen Dollar gekauft. Er habe die anderen Auktionshäuser mit einer doppelten Garantie überboten, denn er habe nicht nur die Qualität erkannt sondern auch, wie gut das Werk auf Abbildungen wirkt.

Fotogene Bilder verkaufen sich besser.Das ist ein starkes Statement: Erfolg auf dem Kunstmarkt ist heute also untrennbar verbunden mit massenmedialer Attraktivität. Neben Marketing und Service (Toplose werden durch die Welt geschickt und auch einmal in Privatsammlungen probegehängt) basieren Rekordpreise also auf internettauglichen Farben und einem fotogenen Auftritt des Kunstwerks!

Vorbei die Zeit der Connaisseure. Im 19. Jahrhundert bezeichnete man so jene Experten, die ihre Kenntnisse dem Studium von Originalen verdankten – in Zeiten des Internet eine zunehmend verschwindende Methode. Heute schauen potenzielle Käufer zunächst Reproduktionen an – weswegen es auch in den großen Galerien bereits Spezialisten für die mediale Auswahl und Aufarbeitung gibt. Zudem werde ein Viertel aller Werke im Bereich der zeitgenössischen Kunst an Erstkäufer versteigert. Die Kunst ist zu einer „Industrie im goldenen Zeitalter“ geworden, wie Sharp den New Yorker Kunsthändler David Zwirner zitiert – was Meyer nur bestätigen kann: „Der Markt ist sehr hungrig, die Menschen wollen kaufen.“

Trotzdem brauche es im Grund nur zwei Bieter auf einer Auktion – es sei eine sehr kleine Zahl von Leuten, die die Preise hochtreibt. Wo sieht er heute seine Position? Er mache noch immer dasselbe wie zu Sotheby's Zeiten, erklärt Meyer: „Ich jage Bilder.“ Und sein Geheimrezept für seinen Erfolg: Er könne die Energie von jemandem spüren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.09.2014)

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