Computerspiele: Bullerbü statt Ballerspiele?

(c) AP (Sega America)
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Sie schaden nicht – wenn Eltern Grenzen setzen, sagt ein Experte.

WIEN.„Früher haben die Kinder Fußball gespielt, waren schwimmen, Rad fahren oder haben Freunde getroffen. Heute sitzen sie vor dem Computer oder vor dem Fernseher. Sie vereinsamen, verrohen, werden gewalttätig.“ Argumente wie diese werden gerne gebracht, wenn es darum geht, die elektronischen Medien zu verteufeln. Dem Computerspielen wird eine Bullerbü'sche Idealwelt entgegengesetzt: Sonnenschein, grüne Wiesen, lachende, rotbackige, Kinder, glückliche Tiere, strahlende Eltern. Sogar die „Zeit“ erliegt in ihrem Dossier vom 12.Juni („Verloren in der virtuellen Welt“) diesem Klischeedenken. Nur leider: So einfach ist es nicht. Denn die Kinder, die in der Stadt aufwachsen (und das sind diejenigen, die am meisten vor dem Computer sitzen), haben gar keinen Zugang zu glücklichen Kühen oder nahen Schwimmteichen. Und: Jene Kinder, die wirklich viele Stunden täglich vor dem Computer sitzen und andere Aktivitäten oder Freundschaften vernachlässigen, sind eine kleine Minderheit.

„Dass Computerspiele auf Kinder und Jugendliche einen gewissen Reiz ausüben, ist ein Faktum“, sagt der Erziehungswissenschaftler Konstantin Mitgutsch. „Aber Verbote machen sie noch reizvoller.“ Die Kinder würden ohnehin an die Spiele herankommen, wenn sie es wollten – in der Schule, über Freunde, in Kaufhäusern. Er empfiehlt Eltern, die Spielleidenschaft ihrer Kinder weder zu fördern noch zu verbieten, sondern sich stattdessen mit den Spielvorlieben ihrer Kinder auseinanderzusetzen. „Leider herrscht da oft Unverständnis. Die Eltern sind von der Spielewelt überfordert – viele Spiele sind sehr schnell, und die Erwachsenen verstehen meist die vielen kleinen Gags nicht, die in das Spiel eingebaut sind.“

Dennoch sollten sie das Gespräch suchen, das Kind fragen, was es gerne spielt, worum es in dem Spiel geht oder welche Levels es schon erreicht hat. „Grenzen setzen ist gut. Aber es ist für ein Kind frustrierend, wenn es heißt: ,Eine Stunde ist vorbei, du hörst jetzt auf!‘ Denn da ist es vielleicht gerade dabei, eine neue Herausforderung zu knacken. Besser ist, zu sagen: ,Du kannst jetzt zwei Level spielen, danach machst du die Hausaufgaben.‘“

Die Kinder ließen sich auch in der Auswahl der Spiele eher beeinflussen, wenn sie ein generelles Interesse der Eltern verspürten. „Es gibt sinnvolle und unsinnige Spiele. Shooter (Spiele, bei denen nur auf etwas geschossen wird, Anm.) ähneln Blockbustern im Kino – sie sind reine Unterhaltung. Es gibt aber auch Spiele, die neue Erfahrungsräume eröffnen oder die Kreativität anregen.“

Zu Letzteren gehört etwa die Simulation „Zoo Tycoon“: Der Spieler bekommt als Zoodirektor die Aufgabe, Tieren ein neues Zuhause im Gehege zu geben, ihren Lebensraum anzupassen und den Besuchern den Zoobesuch so angenehm wie möglich zu machen. Außerdem muss er sich noch darum kümmern, dass die Finanzen stimmen.

Kriegsspiele gab es immer

Prinzipiell sei aber auch gegen Gewalt in Spielen nichts einzuwenden, sagt Herbert Rosenstingl, Leiter der Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen (BuPP): „Gewalt gehört ja schon bei ,Mensch ärgere dich nicht‘ zum Spiel. Eine Figur wird hinausgeschmissen und muss an den Start zurück. Problematisch ist Gewalt dann, wenn sie das Spiel dominiert oder zum Selbstzweck wird. Oder wenn sie nicht altersgemäß ist und das Kind ängstigt.“

Auch für Mitgutsch ist Gewalt kein Spezifikum der Computerspiele. „Kriegsspiele hatten immer schon einen großen Stellenwert, vor allem bei Buben. Die These, dass Computerspiele gewalttätig machen, wurde bisher nicht bestätigt. Natürlich gibt es den High-Risk-Player, aber das ist ein ganz geringer Prozentsatz. Das sind Kinder, die aus problematischem Elternhaus kommen und durch das Spielen in die Isolation gelangen. Und irgendwann vielleicht die reale mit der fiktiven Welt verwechseln.“

Wann sollten bei den Eltern die Alarmglocken läuten? „Wenn Probleme im Alltag des Kindes auftreten – in der Schule, mit Freunden. Oder, wenn das Kind selber aufhören will und nicht kann. Und selbstverständlich sollte man die elektronischen Medien nicht als Babysitter einsetzen.“ Mit Zeitangaben ist der Erziehungswissenschaftler vorsichtig. „Wenn ein Spiel neu ist, kann es schon einmal sein, dass das Kind länger davorsitzt. Aber nach ein paar Tagen verliert das seinen Reiz. Es sei denn, es handelt sich um ein Game, das zu exzessivem Spielen verleitet, wie World of Warcraft – da gewinnt nicht der Beste, sondern derjenige, der am meisten Zeit investiert.“

WEITERE INFO. Computer & Kids

Literatur: Der Erziehungswissenschaftler Konstantin Mitgutsch (links) und der Leiter der BuPP, Herbert Rosenstingl(rechts) haben gemeinsam das Buch „Faszination Computerspielen. Theorie – Kultur – Erleben“ herausgegeben (Braumüller Verlag 2008, € 22,90). Podiumsdiskussion und Buchpräsentation am 25.Septem- ber 2008 (19 Uhr) in der Strozzigasse 14–16, 1080 Wien (Pädagogischer Buchversand).

Statistik: Laut einer deutschen Umfrage (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest) nutzen 87% der Buben (81% der Mädchen) zwischen 12 und 19 täglich bzw. mehrmals pro Wochen den Computer. 78% (76%) nutzen genau so oft das Internet. Bei den Spielkonsolen am Fernseher sind die Buben mit 32% (5%) weit vorne.

Beratung: www.bupp.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.07.2008)

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