Wie man den Intelligenzquotienten auf Türkisch misst

Das Institut für Entwicklungs-Psychologie an der Universität Wien bietet Intelligenz-Tests für Kinder mit türkischer Muttersprache an. Denn Kinder, deren Erstsprache nicht Deutsch ist, können bei einsprachigen Tests benachteiligt werden.

Wien (som). Intelligenz, so sollte man meinen, kennt keine Sprache. Und doch kann bei der Austestung des Intelligenzquotienten Sprache eine nicht unwichtige Rolle spielen.

Genauer: das Verständnis der Sprache. Wenn etwas ein Kind mit nicht-deutscher Muttersprache aufgrund eines fehlenden Sprachvermögens bei einem Test schlechter abschneidet, als es das in seiner Muttersprache tun sollte. Und damit nicht fehlende Intelligenz das Problem ist, sondern „lediglich“ eingeschränkte Sprachbeherrschung.

Dieses Risiko, das bei Austestungen von Kindern mit Migrationshintergrund auftreten kann, möchte ein neuer Intelligenztest ausschließen: Klaus Kubinger, Leiter des Instituts für Entwicklungspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Universität Wien, hat einen Intelligenztest entwickelt – speziell für Kinder mit türkischer Muttersprache.

Aufgaben in türkischer Sprache

Nur diese Variante garantiere, dass diese Kinder „ohne sprachliches Handicap“ einen Test absolvieren könnten, ist Kubinger überzeugt. „Erst dann sieht man die Schwächen klar, die nicht von der Sprache abhängen.“ Ansonsten bestehe die Gefahr, dass man die Kinder etwa bei Schwierigkeiten in der Schule falsch einschätze – „weil sie nicht gut genug Deutsch denken“ – und ihnen im schlechtesten Fall einen „sonderpädagogischen Förderbedarf“ (Unterricht nach Sonderschullehrplan) verpasse.

Wobei derlei Sprachprobleme nicht bei allen Kindern mit Migrationshintergrund auftreten: Bei 40 Prozent gebe es keine Unterschiede, weiß der Psychologe aus den Voruntersuchungen. Immerhin 60 Prozent, so ist man aus den bisherigen Ergebnissen sicher, schneidet mit dem neuen, sprachsensiblen Test besser ab.

Ein gutes Abschneiden beim sprachsensiblen, etwa 70-minütigen Intelligenztest macht ein Grunderfordernis natürlich nicht obsolet: „Die Herausforderung für die Kinder ist, dass sie können müssen, was das hiesige Schulsystem verlangt“, sagt Psychologe Kubinger.

Grundsätzlich werden viele Aufgabenstellungen bei Intelligenztests – wie etwa bei dem in Österreich üblichen „AID2“ – nonverbal vermittelt, etwa durch Bilder oder Zeichnungen. Die Anleitung dazu wird jedoch üblicherweise in deutscher Sprache verlesen. Seit September führen deutschsprachige Mitarbeiter die Tests auch an der Beratungsstelle des Instituts durch: Die Anwendung sei gar nicht so kompliziert, sagt Georg Wilflinger. Er hat ein Semester lang Türkisch gelernt und verliest den Kindern die Aufgabenstellungen in türkischer und deutscher Sprache.

Die so genannten „Items“ sind nach Alter gestuft: Die Bandbreite reicht von sechs bis 16 Jahren. Reagiert das Kind auf eine Sprache besser, geht es entsprechend weiter. Auch das „Switchen“ zwischen den Sprachen ist beim Test kein Problem. „Wir suchen die optimale Sprache“, sagt Kubinger.

190 Euro kostet ein Test

Nun möchte das Universitätsinstitut das neue Testverfahren bekannter machen. Man bemühe sich um eine Kooperation mit öffentlichen Stellen – und ist auf der Suche nach Unterstützung. Denn in der Beratungsstelle kostet der Intelligenztest 190 Euro – und das ist für viele Familien mit Migrationshintergrund anscheinend zu teuer.

Bislang konnte die Beratungsstelle ihren neuen Test in Wien noch nicht oft ausprobieren: Erst eine Handvoll Kinder mit türkischer Muttersprache waren da.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2009)

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