"Komm, lieber Mai, und mache..." Ja, was denn bitte?

FEATURE BOTEN DES FRUEHLINGS -   MAIGLOECKCHEN
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Was so ein Wonnemonat alles können soll! Dichter und Musiker halten große Stücke auf den Mai und schreiben ihm Mysterien zu, die oft anmuten wie Aprilscherze. Eine poetische Bestandsaufnahme.

„Komm lieber Mai und mache...“ Warum denn, bitte? Sie sind doch längst grün, die Bäume. Aber so viel kann der April gar nicht arbeiten, sie schlagen (auch bei Emanuel Geibel, viel zitiert) erst im Mai aus...

Im Mai fängt alles an; und hört gleich wieder auf. Ein Darüberhinaus gibt es nicht: Goethe benennt in „Jahraus, jahrein“ die Monatsnamen bis hierhin und nicht weiter, denn im Mai, „wenn's glückt,/Hat dich wieder ein Mädchen berückt./Und das beschäftigt dich so sehr/Zählst Tage, Wochen und Monde nicht mehr“.

So kommt es, dass einem Hermann von Gilm zu Rosenegg zu Allerseelen, also im November, der Refrain „wie einst im Mai“ einfällt, der dank der Vertonung durch Richard Strauss zum Ohrwurm – und damit zum tönenden Synonym für vergangene glückliche Tage geworden ist.

Darum träumen wir mit Heinrich Heine den Traum vom „ew'gen Mai“ und quittieren die Operettenfrage, „Warum hat jeder Frühling, ach, nur einen Mai?“, mit stiller Genugtuung. Was uns Mai heißt, wie es auch hieße, es würde lieblich duften. Dabei hat Franz Lehár selbst schon korrigierend eingegriffen und seinen Zarewitsch im „Land des Lächelns“ widersprechen lassen: „Ein Lied werd' ich von heißer Sehnsucht singen“, heißt es da, „und meine Laute soll wie Silber klingen, in einer Mondnacht“ – nein eben nicht im Mai, sondern „im April“.


Zu früh gefreut. Poesie-Agnostikern nützt freilich nicht einmal das Wissen darum, dass der Frühling schon im März beginnt. Theodor Fontane bringt es in seinem, der Jahreszeit gewidmeten Gedicht auf den ebenso knappen wie einleuchtenden Nenner: „Es ist erst März,/Und März ist noch nicht Mai.“ Weiß Gott.

Man soll sich auch nie zu früh freuen. Mahnend dröhnt es schon dem Jungdamen-Komitee, das in Haydns „Jahreszeiten“-Oratorium „Komm holder Lenz“ ruft, entgegen: „Frohlocket ja nicht allzu früh! Oft schleicht, in Nebel eingehüllt,/Der Winter wohl zurück und streut/Auf Blüt' und Keim sein starres Gift.“

Wer jetzt fragt, was das mit dem Mai zu tun haben soll, hat seinen Grillparzer nicht gelesen – oder liegt es daran, dass das Burgtheater seine Hausaufgaben nicht mehr macht? In „König Ottokar“ taxiert der stets pessimistische Dichter den Frühling mit den Worten „Anstatt im Märzen kommt er erst im Mai./Und Schnee liegt dort, wo sonst wohl Saaten standen.“

In diesem Sinn ist Heine gar nicht zu spät dran, wenn er meint: „Die Erde war so lange geizig,/Da kam der Mai, und sie ward spendabel.“ Bei diesem Dichter lernt die Romantik ja auch, die ganze tragische Ambivalenz der Angelegenheiten zu erkennen. Mag er auch „lustig leuchtend“ daherkommen, der Wonnemond, des Dichters „Herz ist traurig“.

Da fruchten selbst aggressive Werbemaßnahmen nicht. In (Heines!) „Götterdämmerung“ klopft er an die Tür: „Ich bin der Mai,/Du bleicher Träumer, komm, ich will dich küssen.“

Das ist seine brachiale Seite, Vergewaltigung zur Schönheit, sozusagen, deren Wirkungsmacht mit bezaubernder Ironie Peter Altenberg festzuhalten wusste: Im Park, der „eben Mai-Toilette angelegt hatte“ betrachtet er „ein riesiges Blumenbeet“, das „leuchtete wie Glut und Brand, wie Schnee und übertriebene Schminke“.

Derlei impressionistische Feinfühligkeit kann sich nur der Mitteleuropäer leisten. Das Frühlingserwachen ein wenig weiter nordöstlich ist unausweichlicher. Das hat niemand eindrucksvoller beschrieben als Joseph Roth in seinem Roman „Das falsche Gewicht“, in dem der Eichmeister begreift, dass es weniger wichtig ist, die Sprache der Menschen zu verstehen, als das, „was das Land selber sprach“.

Dem „Krachen der geborstenen Eisdecke“ auf dem Fluss folgt das chthonische Fest: „Mit Windlichtern und Laternen stellten sie sich an seinen beiden Ufern auf und sahen zu, wie das Eis barst und wie der Fluss aus seinem Winterschlaf erwachte. Manche hüpften, in kindischer Freude, auf eine der großen dahintreibenden Schollen, schwammen eilig mit ihr davon, die Laterne in der Hand, Grüße noch winkten sie mit ihr den am Ufer Zurückbleibenden, und erst nach einer langen Weile sprangen sie wieder ans Ufer. Alle benahmen sich ausgelassen und töricht.“

Das muss es gewesen sein, was Igor Strawinsky meinte, wenn er vom Erlebnis des „gewaltigen russischen Frühlings“ erzählte, „der in einer Stunde zu beginnen schien und die ganze Erde aufbrechen ließ“. Wir können dieses Urerlebnis nachhören, wann immer „Le sacre du printemps“ auf dem Programm steht, diese Hommage an das immer wieder aufs Neue aus der Todesstarre hervorbrechende Leben.

Da erfahren wir als Hörer quasi den Umkehrschluss jener Wanderung in die Eiseskälte, die Wilhelm Müllers – von Schubert unsterblich gemachter – „Winterreisender“ unternimmt. Ihm war der Mai „gewogen mit manchem Blumenstrauß. Das Mädchen sprach von Liebe,/Die Mutter gar von Eh'“.


Elegie für junge Liebende. „Das Herz feiert seinen Mai“, heißt es in diesem Sinn auch bei Jean Paul, dem Lieblingsdichter aller romantischen Musiker. Dieser Mai vergisst sich nicht. Bei Schubert nicht. Und auch nicht bei Schumann: Den „wunderschönen Monat Mai“, den er in der „Dichterliebe“ zu Heines Worten besingen lässt, erleben wir ja auch in der Retrospektive.

Das Sinnbild aller Liebessehnsucht provoziert in unseren sachlich-skeptischen Tagen dichterischen wie musikalischen Zynismus. W. H. Auden dichtete für Hans Werner Henze eines der originellsten Opernlibretti: In dieser „Elegie für junge Liebende“ erleben wir einen größenwahnsinnigen Dichter, der sich in ein Alpenhotel zurückgezogen hat und dort von der Natur wie von der Entourage, die ihn umgibt, inspirieren lässt. Eine Gräfin mittleren Alters ist seine Sekretärin und verschaut sich in den Neffen des Dichters. Da höhnt der Poet: „Frühlingstriebe! Jetzt ist mir's klar. Natürlich! Mein Patensohn... Mai... die Kuhglocken... und die Alp! Linas armes Herz. Wie es schlägt und schmerzt! Die Gräfin in den besten Jahren bringt leicht ein Bursche in Gefahr...“


Monatsplanung. Opernfreunde bekommen in einem viel häufiger gespielten Meisterwerk des 20. Jahrhunderts eine Lektion in Sachen Monatsplanung. „Zum Exempel der Mai ist recht lieb für verliebte Geschäft, das weiß jedes Kind“, unterrichtet uns der Ochs auf Lerchenau im „Rosenkavalier“. So ein Landadeliger weiß freilich mehr: „Aber ich sage: Schöner ist Juni, Juli, August. Da hat's Nächte!“ Wer wissen möchte, was der gute Ochs in solchen Nächten treibt, muss heuer zu den Salzburger Festspielen fahren: Da wird Hofmannsthals Text ohne Kürzungen gesungen. In aller Regel fällt nämlich die folgende sogenannte „Mägdeerzählung“ dem Rotstift zum Opfer!.

Gottlob korrigiert und kürzt man in der Oper nur aus zwei Gründen, entweder, weil man Sängern bestimmte musikalische Schwierigkeiten nicht zumuten möchte, oder – wie in diesem Fall – um „Sitte und Anstand“ nicht zu verletzen.

Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn botanische und meteorologische Redlichkeit gefordert wäre. Ein Werk wie „Die Meistersinger von Nürnberg“, vor allem der zentrale, herrliche „Fliedermonolog“ des Hans Sachs darin, wären ganz unmöglich.

Ein „heiterer Sommerabend“ herrscht laut Richard Wagners Textbuch im zweiten Aufzug. Es ist die Johannisnacht, also die Nacht vom 23. auf den 24. Juni. Die Kirche feiert das Hochfest der Geburt Johannes des Täufers, aus vernünftigen Erwägungen so nah an die Sommersonnwend' gerückt wie Weihnachten nah an der Wintersonnwend' zu liegen kommt.

In der von Wagner selbst redigierten Buchausgabe, ein wenig anders als in der Partitur, singt der Schuster-Poet Hans Sachs: „Wie duftet doch der Flieder so mild, so stark und hold.“


Worüber man nicht singen kann. Da stutzt der Naturfreund, der naturgemäß schon im April bewusst den holden Fliederduft genossen hat. Was Hans Sachs in der Johannisnacht erschnuppern kann, ist vermutlich der Holunder. Der duftet auch, gewiss. Aber die Poesie? Vor allem in Wien wäre jeder Zauber dahin, wenn es hieße „Was duftet der Holunder“ und wir vom „Holler-Monolog“ zu sprechen hätten. Insofern müssen wir den Gültigkeitsbereich unserer Shakespeare-Sonett-Zeile übrigens ein klein wenig einschränken. Der Flieder duftet uns mild und hold, aber es ist uns nicht ganz gleich, „wie er auch hieße“.

Holler geht jedenfalls nicht! Als Vers-Ende nicht einmal im Juni.

Wobei in Hans Sachs' Selbstgespräch die Fliedersaison ja doch über Umwege ins Spiel kommt, sobald er von den Gesangskünsten des Walther von Stolzing schwärmt: „Es klang so alt, – und war doch so neu, – wie Vogelsang im süßen Mai.“ Na also!

Hören wir noch den Finalsatz von Mozarts letztem Klavierkonzert (KV 595): Da erklingt die Urform dessen, was gleich darauf zu „Komm lieber Mai“ mutiert ist (KV 596). Nur in Mozarts klingendem Arkadien erfährt man endlich, was mit all den Dichtungs-Versuchen wirklich gemeint ist. Das kann kein Wort der Welt beschreiben; und hieße es „Mai“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2015)

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