„Es geht nie darum, aus Mädchen Buben zu machen“

Kinder beim Rollerskaten
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Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Andrea Bramberger, Professorin für Geschlechterpädagogik, erklärt angesichts des unterschiedlichen Abschneidens von Buben und Mädchen bei der Zentralmatura, weshalb es einen traditionellen Zusammenhang zwischen Bildung und Geschlecht gibt.

Die Presse: Mädchen haben bei der Mathematikmatura schlechter abgeschnitten als Buben. Ist das ein Grund zur Sorge?

Andrea Bramberger: Es ist nicht so, dass alle Buben in Mathematik bessere Leistungen erzielen als alle Mädchen. Und genauso wenig sind alle Mädchen besser in Deutsch als sämtliche Jungs. Aber natürlich: Bedeutsam ist, dass die Ergebnisse auf einen Zusammenhang zwischen Bildung und Geschlecht hinweisen, der traditionell ist.

Woher rührt dieser traditionelle Zusammenhang?

Das ist fast eine Gretchenfrage. Wir wissen, dass Mathematik, Technik und das Explorative traditionell männlich und das Sprachliche traditionell weiblich konnotiert sind. Mit der Aufklärung wurde diese Idee von Erziehung und Bildung etabliert. Mädchen und Buben wurden damals anders und in unterschiedlichen Fächern unterrichtet. Pädagogen wie Jean-Jacques Rousseau argumentierten das mit unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen in der Gesellschaft. Für uns heißt das auch heute, dass sich in der Erziehung und Bildung hegemoniale Bilder von Weiblichkeit und Männlichkeit etabliert haben.

Ist der Leistungsunterschied rein gesellschaftlich bedingt? Oder liegt es auch am Unterricht?

Beides. Die Geschlechtscodierung und der Umgang mit Geschlechtsidentität sind wesentliche Aspekte der Sozialisation. Die findet nicht nur in den Schulen statt, sondern geht weit darüber hinaus. Die Lehrenden in den Bildungsinstitutionen haben unterschiedliche Möglichkeiten, damit umzugehen.

Was sollen Lehrer tun?

Es geht nie darum, aus Mädchen Buben zu machen oder aus Buben Mädchen. Es geht darum, dass wir beide bestmöglich in ihren speziellen Begabungen und Interessen fördern. Ich glaube, dass die Bildungsinstitutionen das schon sehr gut machen. Trotzdem müssen wir das Thema noch genauer erforschen.


Welche Möglichkeiten gibt es?

Unterschiedliche. Man könnte etwa geschlechterspezifische Förderprogramme entwickeln, mit speziellen Didaktiken und Materialien. Das würde bedeuten, dass es einen unterschiedlichen Mathematik- oder Deutschunterricht für Mädchen und Buben braucht. Man würde ihnen so einen sozialen Raum geben, der möglichst frei von Geschlechterhierarchien ist. Aber Segregation ist immer so eine Sache...

Sie sind eher für den gemeinsamen Unterricht.

Ja. Es gibt nämlich auch eine andere Möglichkeit, an der wir in Salzburg arbeiten: Gender-Inklusion.

Was heißt das?

Es soll Aufmerksamkeit für den Zusammenhang von Bildung und Geschlecht entwickelt werden. Es geht darum, soziale Räume zu schaffen, in denen sich alle gemeinsam egalitär entwickeln können. Das braucht einen reflektierten Umgang mit Differenz, Diversität und Geschlecht.

Dafür muss sich wohl vor allem die Lehrerausbildung verändern.

In Skandinavien hat sich gezeigt, dass es nicht zielführend ist, Gendersensibilität getrennt von Fachdidaktik zu vermitteln. Deshalb muss schon bei den Lehramtsstudien darauf geachtet werden, dass das gemeinsam gedacht wird. So können Gender und Diversität im Unterricht anwendbar gemacht werden.

Apropos: In Skandinavien scheinen die Mädchen deutlich technikaffiner zu sein. Warum?

Das spricht auf jeden Fall dagegen, dass der Zusammenhang zwischen Bildung und Geschlecht ein genetischer ist. Eine eindeutige Antwort gibt es darauf leider noch nicht.

ZUR PERSON

Andrea Bramberger (47) ist Erziehungswissenschaftlerin an der PH Salzburg. Ihre Forschungsschwerpunkte: Frauen- und Geschlechterforschung in der Pädagogik. [ PH Salzburg ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2015)

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