Väter im Kreißsaal: Beistand oder Belastung?

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Vor 35 Jahren eroberten die Väter den Kreißsaal. Doch viele Frauen würden sich mit einem anderen Beistand wohler fühlen, viele Männer hingegen treibt nur der kollektive Druck dazu.

Während der Geburt seines ersten Kindes gibt Markus seiner Frau einen Kuss und sagt: „Ich muss gehen – ich fange an, das Kind zu hassen.“ Kurz danach ist seine Tochter geboren, aber Markus bleibt unauffindbar. Stunden später taucht er bei seiner Frau im Zimmer der Wiener Klinik auf, steif wie eine Maschine. „Ich habe eine Störung. Ich kann das Kind nicht sehen. Ich fahre jetzt nach Hause.“ Wo er die ganze Zeit gewesen sei? Irgendwo in der Klinik am Gang. „Ich bin vom Kreißsaal weg, aber ich hab dich immer noch schreien gehört. Da bin ich einen Stock hinaufgegangen, aber ich hab dich immer noch schreien gehört.“ Seine Frau erzählt das dem Arzt, der meint: „Das kann nicht sein, wenn die Türen des Kreißsaals geschlossen sind. Da muss es bei Ihrem Mann schon vorher klick gemacht haben.“

Ein Geburtsschock. Neugeborene haben ihn, glaubt man. Mütter können ihn haben, weiß man. Aber was ist mit den Vätern? Jenen längst nicht mehr neuen „neuen“ Vätern, die mit ihren Partnerinnen in den Kreißsaal marschieren, weil... Ja, warum eigentlich? Um ihrer Partnerin zu helfen? Um bei diesem „elementaren Naturereignis“, von dem Schwangerschaftsbücher schwärmen, live dabei zu sein? Oder vielleicht auch, weil man(n) das heute so macht, weil nicht nur die Partnerin, sondern vielmehr Verwandte, Freunde es erwarten? Weil man nicht als Feigling, als lieblos gelten will?

Die Schmerzen der anderen. „Du darfst deine Frau nicht alleinlassen. Sie braucht dich“, haben die Arbeitskolleginnen Markus eingeschärft. Dann kam der Geburtsvorbereitungskurs: Stützen und Mitatmen, der kalte Waschlappen, die Eiswürfel, die Lieblings-CD der Partnerin – so vieles gibt es, womit sich der werdende Vater nützlich machen kann! In den ersten Stunden der Geburt stimmte das sogar. Am Ende aber saß Markus nur noch da, hörte seine Frau schreien, wie er sie noch nie schreien gehört hatte, wusste nicht, was passierte, wie es weitergehen würde. Hinter sich zwölf Stunden verzweifelt unterdrückte panische Angst: vor dem Unbegreiflichen, dem Blut, am meisten aber vor den Schmerzen eines geliebten Menschen, die Markus tausendmal lieber selbst erlitten hätte.

Tage vergehen nach der Geburt, doch Markus will sein Kind, auf das er sich seit Monaten so sehr gefreut hat, nicht sehen. Ein Einzelfall? Der berühmte französische Geburtshelfer Michel Odent, ein Schüler des Geburtshilfepioniers Frédérick Leboyer, kennt etliche solcher Geschichten. „In all den Jahren habe ich eine Art postnatale Depression bei vielen Männern erlebt, die bei der Geburt dabei waren. Ich habe von vollkommen ausgeglichenen Männern gehört, die während der Geburt die Hand ihrer Frau hielten und am nächsten Tag fortgingen, um nie wieder zurückzukehren“, erzählte der heute 89-Jährige im Jahr 2008 der britischen Zeitung „Daily Mail“.

Odent geht aber noch weiter: Die Anwesenheit der Männer könne auch den Frauen schaden, sie würden dadurch gehemmt, könnten schwerer ihren Verstand ausschalten und loslassen. „Viele Jahre lang konnte ich nicht offen über meine Ansicht sprechen, dass ein Vater in einem Kreißsaal nicht nur unnötig ist, sondern auch die Geburt behindert. Heute, wo Geburten schwieriger und langwieriger sind denn je, wo mehr Frauen Schmerzmittel oder Kaiserschnitte brauchen, müssen wir es wagen, die Grenzen politischer Korrektheit zu zerschlagen und zu fragen, ob Männer wirklich bei der Geburt dabei sein sollen.“

Die Schattenseiten. Odent ist ein Häretiker. Kaum 35 Jahre ist es her, dass Männer den Kreißsaal erobert haben. Was noch vor 50 Jahren undenkbar war, ist mittlerweile selbstverständlicher Teil der Vater- und Partnerpflichten. Zu selbstverständlich vielleicht – denn die Forschung der letzten Jahre deutet darauf hin, dass die männliche Gebärassistenz auch Schattenseiten hat.

Eine 2001 abgeschlossene 15-jährige Studie an der Case Western University School of Medicine in Cleveland etwa zeigte, dass bei Frauen, die während der Geburt von einer befreundeten Frau unterstützt werden, die Wahrscheinlichkeit eines Kaiserschnitts auf die Hälfte sank; dass von diesen Frauen 60 Prozent weniger nach einem Kreuzstich verlangten. Die Geburtsdauer sank um ein Viertel. Im Jahr 2003 ergab eine Untersuchung der Bath University, dass ängstliche Männer bei Kaiserschnitten ihre Partnerinnen anstecken, die die Operation dadurch als schmerzhafter erleben. Und das britische Royal College of Midwives führte 2006 eine Umfrage durch, der zufolge 38 Prozent der Frauen lieber jemand anderen im Kreißsaal hätten als den Partner.

Mindestens eine Form des männlichen Geburtstraumas schließlich ist Paartherapeuten ebenso gut bekannt wie Lesern von Sexualberatungskolumnen – und auch Ärzten, die heutzutage nicht von ungefähr darauf bedacht sind, Männer im Kreißsaal nicht vor die Partnerin zu platzieren: dass manche Männer, die im Kreißsaal „zu viel“ gesehen haben, ihre Frau nicht mehr sexuell begehren können.

„Für uns ist das im Alltag kein Thema“, sagt allerdings Karin Tordy, Psychologin im AKH. Kreislaufprobleme und Ohnmachten kämen dagegen immer wieder vor: „Hauptsächlich, weil die Männer vor und während der Geburt ihre körperlichen Bedürfnisse wie Essen und Schlafen ignorieren.“ Vor allem Männer, die gewohnt seien, Dinge zu intellektualisieren, könnten mit dem, was sie bei der Geburt ihres Kindes erleben, auch psychisch Probleme haben, räumt Tordy ein. „Da werden sie mit einem Naturereignis konfrontiert, von dem sie nicht durch Reflexion Abstand nehmen können.“ Vielen Männern fehle schließlich auch die richtige Interpretation der Ereignisse. „Sie glauben zum Beispiel, dass es der Frau am schlechtesten geht, wenn sie am lautesten schreit. Dabei kann das Schreien auch Ausdruck von schwerer Arbeit sein und sehr befreiend wirken.“

Bedenken ernst nehmen. Markus‘ extreme Reaktion sei dennoch ungewöhnlich, sagt die Psychologin. „Man kann daraus lernen, dass man Bedenken, die ein Mann äußert, sehr ernst nehmen muss. Ein Mann sagt heute nicht so ohne weiteres, dass er der Geburt lieber fernbleiben würde. Da muss er auch ganz schön mutig sein. Denn das ist ja sozial nicht so erwünscht.“

Setzt man werdende Väter heute zu sehr unter Druck? „Manchmal habe ich das Gefühl, der Mann muss gleich sagen, ob er dabei ist oder nicht. Dabei muss er erst in diese Rolle hineinwachsen. Außerdem sollte man sich genau überlegen, welchen Teil einer Geburt der Mann sich zutraut und welche Bedingungen der Partner braucht.“ Helfen könnte auch, was in den USA, etwa im Washington Hospital Center, bereits gang und gäbe ist: eigens auf Männer zugeschnittene Geburtsvorbereitungskurse.

Aber müssen denn überhaupt alle werdenden Väter zu Gebärassistenten erzogen werden? Während es angesichts durchtechnisierter Geburten wieder in Mode kommt, die weibliche Natur, die Urkraft der Frauen und die Mutterinstinkte zu beschwören, dürfen seltsamerweise Männer nicht auf Nachsicht zählen, wenn sie sich auf ihre „Natur“ berufen. Immerhin, könnte man argumentieren, war es seit Urzeiten ihre Aufgabe, Frau und Kind zu verteidigen. Darf man sich da wundern, wenn manche Exemplare dieser Spezies nicht in der Lage sind, der Partnerin Daumen drehend beim Leiden zuzusehen?

Die Männer, die deswegen von ihrer (weiblichen) Umgebung als Versager gesehen werden, können sich mit einem Blick in die Tierwelt trösten. Zwar gibt es dort gewisse Kleintiere, die ihren Frauen brav beim Gebären helfen, aber welcher Mann möchte schon mit einem kalifornischen Mäuserich verglichen werden?

Viele Männer kämen über den emotionalen Kollaps, den sie im Kreißsaal hätten, nie hinweg, warnt Michel Odent. Markus gehört nicht dazu. Am vierten Tag nach der Geburt steht er vor der Tür des Klinikzimmers. Er bringe ein paar Sachen, aber reinkommen könne er nicht, hat er am Telefon versichert. Lange schaut er seine Frau an, dann, wie unwiderstehlich hineingezogen, stürzt er an ihr vorbei und schaut im nächsten Moment auf das Gesicht seiner schlafenden Tochter. Er hat Tränen im Gesicht. Tränen des Glücks. Es war kein Trauma, nur ein Albtraum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.02.2010)

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